Literatur / Medien

Das Massaker im Arnsberger Wald

März 1945, kurz vor Kriegsende. Es herrscht Chaos in Deutschland und im
westfälischen Arnsberger Wald passiert etwas Grausames: Wehrmacht, SS und
Zivilisten ermorden kaltblütig 208 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter –
darunter drei Kinder.

Fast 80 Jahre später ist das Massaker noch immer gegenwärtig: Der Archäologe
Manuel Zeiler gibt einem Bagger-Fahrer Zeichen, es geht um Zentimeter.
Vorsichtig werden Erdschichten abgetragen, dann kommen die Leichenspürhunde.
Es läuft die Suche nach den letzten sieben, noch vermissten Leichen am
Tatort des NS-Verbrechens.

Der Film „Die Massaker im Arnsberger Wald“ dokumentiert und erzählt die
Geschichte der Opfer und der Täter. Es geht um Mord, Schuld, Sühne und die
Aufdeckung der letzten Geheimnisse eines Verbrechens, das die Region noch
heute beschäftigt.

Zum Kriegsende leben acht Millionen Fremde im Land. Die meisten von ihnen
sind keine Kriegsgefangenen, sondern Zivilisten, von den Deutschen aus den
eroberten Gebieten ins Reich verschleppt. Vor allem Frauen und Kinder aus
dem Osten werden gezwungen, für die Deutschen zu arbeiten. Der Krieg ist
verloren, deshalb sollen sie verschwinden.

Als die US-Armee ins Sauerland einrückt, findet sie die Leichen von 208
Männern, Frauen und Kindern, die aus Polen und der Sowjetunion stammen. In
den 1950er-Jahren kommt es zu mehreren Prozessen am Arnsberger Landgericht
gegen sechs der Haupttäter. Sie werden entweder freigesprochen oder kommen
mit niedrigen Strafen davon.

Der Beitrag ist in der ARD-Mediathek abrufbar:
https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/geschichte-im-er
sten/sendung/das-massaker-im-arnsberger-wald-100.html

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Enthüllungen über Albert Vögler

Wir möchten auf folgenden Artikel hinweisen, veröffentlicht unter Beiträge im Online-Portal des Stadtarchives / Steinwache, Autor: Dr. Stefan Klemp, Historiker

https://www.dortmund.de/de/freizeit_und_kultur/stadtarchiv/steinwache/steinwache_online/beitraege_so/albert_voegler.html

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Rezension der 1. Auflage von „Mörderisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende“

Die „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“ veröffentlichte in der Ausgabe Nr. 10/ 2008 die nachfolgende Rezension. Autor ist der Politikwissenschaftler und Soziologe Armin Pfahl-Traughber, früherer Referatsleiter der Abtl. Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz und seit 2004 Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung:

Noch in den letzten Monaten vor Kriegsende kam es auf dem Reichsgebiet zu einer Reihe von NS-Verbrechen, die in Form von Erschießungen und Hinrichtungen an Deserteuren und Gestapo-Häftlingen, Juden und Kapitulationswilligen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, Oppositionellen und Zwangsarbeitern begangen wurden. Angesichts der Dimension des systematischen Völkermords an den Juden im Osten fanden diese Untaten der Nationalsozialisten bislang noch keine größere Aufmerksamkeit. Sie gingen direkt zurück auf Befehle und Weisungen von Hitler, Himmler und anderen hochrangigen NS-Funktionsträgern. Ob diese Verbrechen angesichts der absehbaren Kriegsniederlage Ausdruck eines fanatischen Vernichtungswillens oder politischen Kalküls waren, bildet eine heute noch nicht endgültig geklärte Frage. Ihr beschreibend und interpretierend nachzugehen ist das Ziel des Journalisten Ulrich Sander in vorliegendem Buch.

Es gliedert sich in sechs unterschiedlich lange Kapitel: Zunächst geht es um Himmlers Befehl vom April 1945, wonach bei der Räumung von Gefängnissen und Konzentrationslagern keine Häftlinge lebend zurückzulassen seien, und das Massaker in Isenschnibbe bei Gardelegen im gleichen Monat, bei dem über tausend KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter umgebracht wurden. Es folgt als ausführlichster Teil des Bandes die Darstellung von Vor- und Nachgeschichte der Massenexekutionen im Rombergpark und in der Bittermark in der Nähe von Dortmund, wo zwischen März und April 1945 von der Gestapo über dreihundert Personen umgebracht wurden. Knapper behandelt der Autor demgegenüber die Exekutionen von 57 Zwangsarbeitern in Warstein im Langenbachtal durch die SS im März, die Genickschuss-Tötungen von 71 Gefangenen durch die Gestapo in der Wenzelnbergschlucht bei Langenfeld und Solingen im April und die Erschießung von 16 kapitulationswilligen Bürgern in Penzberg in Oberbayern ebenfalls im April 1945.

In den letzten beiden Teilen des Buchs findet sich zum einen eine Auflistung mit Daten zu NS-Verbrechen in der Endphase des Krieges bezogen auf die jeweiligen Tatorte und einzelnen Todesmärsche sowie der kommentierende Auszug aus einer früheren Veröffentlichung des verstorbenen Historikers Reinhard Opitz zur politischen Deutung der Massaker gegen Kriegsende. Nach dessen von Sander geteilter Auffassung entsprangen die erwähnten Verbrechen durchaus einem rationalen Kalkül, setzten doch „die Naziführer und das deutsche Monopolkapital“ (S. 178) auf den Zerfall der Anti-Hitler-Koalition noch vor Kriegsende. Mit der Aufopferung von Soldaten und Zivilbevölkerung erhoffte man sich nach Opitz eine Fortsetzung des Krieges an der Seite der Westmächte gegen die Sowjetunion. Sander meint mit Verweis auf die Tötung von Oppositionellen darüber hinaus: „Die Nazis fürchteten, den Antifaschisten könne es gelingen, durch gemeinsames Handeln die Früchte des Sieges über den Faschismus für eine Zukunft in Frieden und Demokratie zu sichern“ (S. 14).

Dem Autor kommt möglicherweise das Verdienst zu, an bislang noch nicht ausreichend untersuchte NS-Verbrechen gegen Kriegsende erinnert zu haben. Form und Inhalt seiner Darstellung und Deutung dieser Ereignisse sind aber mehr als nur kritikwürdig: Zum einen fällt das gesamte Werk durch seine inhaltliche Unwucht auf, macht doch das Kapitel über den Massenmord im Rombergpark und in der Bittermark gut die Hälfte des gesamten Textes aus, während die anderen Untaten nur kursorisch behandelt werden. Ärgerlich ist auch die mangelnde Strukturieren der einzelnen Kapitel: Sander springt nicht selten inhaltlich hin und her. Darüber hinaus werden viele Aussagen ungenau oder gar nicht belegt. Allein von daher kann das Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben. Bei der Auflistung der einzelnen Märsche aus den Konzentrationslagern stützt sich Sander auf eher unzuverlässige Quellen.

Weitaus problematischer als der formale Mangel ist die ideologische Prägung von Darstellung und Interpretation. Andersdenkende Historiker etikettiert Sander in bedenklicher Weise. Man mag Joachim Fests Hitler-Darstellung inhaltlich und methodisch kritisieren, aber von einem Hitler-„Beschöniger“ (S. 76) zu sprechen, ist zumindest ein grobschlächtiges und undifferenziertes Urteil. Es erklärt sich durch die politischen Absichten des Autors, der an einem dogmatischen Faschismus-Verständnis im Sinne des ML festhält. Dies erklärt auch das schon verschwörungsideologisch wirkende Anspielen auf das Wirken kapitalistischer Eliten. So heißt es etwa: „Und mit Massenmörder Ohlendorf hatten vermutlich gewisse deutsche Kreise auch noch ihre Pläne“ (S. 101). Im Vorwort stellt der Autor denn auch fest, die „gleichen Kreise“, die „dem Hitlerfaschismus zur Macht“ verhalfen, „dominieren auch die Bundesrepublik“ (S. 12).

Armin Pfahl-Traughber

Ulrich Sander: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende. PapyRossa Verlag. Köln 2008, 192 S.

Der Mensch ist erst vergessen, wenn keiner mehr an ihn denkt – 12 Biographien von sowjetischen Kriegsopfern

Wer heute den Friedhof am Rennweg in Dortmund betritt, findet im hinteren Teil eine parkähnliche Anlage und weitläufige Rasenflächen vor. Doch die weitläufigen Rasenflächen sind Gräberfelder. Hier ruhen mehrere tausende Menschen, die aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit ins Ruhrgebiet verschleppt wurden und in Dortmund gestorben sind. In der vorliegenden Broschüre werden 12 sowjetische Kriegsgefangene vorgestellt, die auf dem Internationalen Friedhof am Rennweg in Dortmund begraben.

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Eine Broschüre zum Mahnmal am Phoenix-See finden Sie hier (Download PDF):

Mahnmal Phoenixsee_Broschüre_März 2021

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Hinweis

Hitlers Sklaven – die Geschichte der Zwangsarbeiter

Eine dreiteilige Doku-Reihe 2020

Ausbeutung -Vernichtung – Sühne

Dauer jeweils 45 Minuten

Erstausstrahlung am 19.12.2020 im ZDF Info

Zu sehen in der ZDF-Mediathek bis Dezember 2022

Zwangsarbeit in Nazi-Deutschland war ein Massenphänomen – vom Regime organisiert, von der Gesellschaft getragen. Der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Reich geschah vor aller Augen. Die Dokumentation erzählt die Geschichte der  Zwangsarbeit und zeigt das System der NS-Zwangsarbeit auch an Einzelschicksalen. Die Filme vereinen wissenschaftliche Analysen mit persönlichen Erlebnissen von ehemaligen Zwangsarbeiterkräften oder ihrer Nachkommen. Im dritten Teil „Sühne“ werden auch die Kriegsendverbrechen, hier die Morde im Arnsberger Wald, thematisiert.

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Das von unserem Förderverein und der VVN-BdA gemeinsam herausgegebene Buch

Mörderisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende 1945

Paperback, 282 Seiten, ISBN 978-3-89438-734-1 PapyRossa Verlag

ist jetzt lieferbar, und zwar unter der Adresse ulli@sander-do.de

Eine Rezension des Buches finden Sie hier:

Rezension: Mörderisches Finale. NS-Verbrechen bei Kriegsende 1945. Von Ulrich Sander

Über dieses Buch:

Kurz vor der Befreiung wurden im Frühjahr 1945 tausende Nazigegner und freigelassene Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter »ausgeschaltet«. Das geschah im Rombergpark und in der Bittermark bei Dortmund, aber auch in vielen anderen Orten. Gegen deutsche und ausländische Antifaschisten wie gegen Wehrmachtssoldaten, die sich am Wahnsinn nicht mehr beteiligen oder ihm ein Ende bereiten wollten, wurde ein groß angelegter Mordfeldzug in Gang gesetzt, um einen antifaschistischen Neubeginn nach dem Krieg im Keim zu ersticken.

SS, Gestapo, aber auch einfache NSDAP-Mitglieder, Volkssturmmänner und Hitlerjungen nahmen teil an Massakern im Ruhrkessel, an Erschießungen in vielen Städten und Dörfern, am Mord an Gefangenen aus KZs und Zuchthäusern, auf Todesmärschen, an Standgerichten gegen Deserteure. Die Verbrechen in der allerletzten Phase des Krieges waren sowohl örtliche Amokläufe als auch Teil der Nachkriegsplanungen des deutschen Faschismus. Ulrich Sander bilanziert das Ausmaß der Verbrechen, um die Opfer dem Vergessen zu entreißen und die Täter zu benennen. In dieser zweiten, erheblich erweiterten Auflage liefert er eine – wenn auch noch immer unvollständige – Gesamtdarstellung dieser Vorgänge. Mit einem Personenregister.

Ausführungen zur Buchpräsentation:

Das Buch „Mörderisches Finale“ von Ulrich Sander erscheint im Frühjahr 2020 in einer neuen, erweiterten Ausgabe. Hier finden Sie die Vorbemerkung zur neuen Auflage sowie das Nachwort zur ersten Ausgabe aus dem Jahr 2008:

„Mörderisches Finale“ – über die Naziverbrechen bei Kriegsende 1945

Eine überarbeitete Ausgabe des Buches „Mörderisches Finale“ erscheint Anfang 2020. Es wird herausgegeben vom Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergparkkomitee aus Dortmund. Die erste Ausgabe erschien im Jahr 2008. Erstmals wurde damit das Geschehen in den letzten Kriegsmonaten publizistisch aufbereitet, das zum Tod von mindestens einer halben Millionen Menschen führte. Die Nazis wollten keine „aufbauwilligen Kräfte“ überleben lassen. Drei Jahre vor Erscheinen des Buches hatte das Internationale Rombergparkkomitee damit begonnen, die Berichte von Erinnerungsinitiativen und Opferverbänden zu den Kriegsendverbrechen zu sammeln, nachdem das Komitee zuvor vor allem der mörderischen Ereignisse in und um Dortmund 1945 gedacht hatte. Mit einer neuen erweiterten Ausgabe von „Mörderisches Finale“ wird nunmehr das Resultat weiterer Forschungen und Recherchen durch Basisgruppen der Erinnerungsarbeit vorgelegt. Wir veröffentlichen hiermit die Vorbemerkungen zum Buch von 2020, vorgelegt vom Autor und VVN-BdA-Sprecher Ulrich Sander und von Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache/ Internationales Rombergparkkomitee (beide Gruppen haben sich im Jahre 2011) vereinigt), ferner das Nachwort der ersten Ausgabe aus dem Jahre 2008.

I.

Vorbemerkung zur überarbeiteten Ausgabe

Immer wieder erreichen uns neue Meldungen über »Tatorte« von Kriegsendverbrechen im Jahr 1944/45. Wir präsentieren hier weitere erschütternde Beispiele. Wir berichten außerdem über neue Veröffentlichungen zum Thema. Diese neue Fassung unseres Buches wie auch die neuen Meldungen und Veröffentlichungen vermögen es nicht, vollständig zu verdeutlichen, was alles in jenen letzten Monaten des Krieges an Verbrechen geschah. Die Erinnerung, wenn auch eingeschränkt, ist dennoch nötig. Es gilt, endlich die nötigen Schlüsse aus dem Geschehen zu ziehen.

Solche Verbrechen hat es zu Tausenden gegeben, ohne dass sie später genügend erforscht und die Taten geahndet wurden. Eine erste Gesamtschau dieser Verbrechen versuchten wir mit unserem Buch »Mör­derisches Finale – NS-Verbrechen bei Kriegsende« aus dem Jahr  2008. Das Buch wurde vom Internationalen Rombergparkkomitee (Sitz Dortmund) herausgegeben. Nun wurde eine Neuauflage des Buches erforderlich. Dem Vorwort zum damaligen Buch, geschrieben von unserem leider verstorbenen Freund Prof. Gerhard Fischer, stellen wir diese neuen Vorbemerkungen voraus. Auch die Herausgeberschaft hat sich verändert. Das Internationale Rombergparkkomitee hat sich mit dem Förderverein der Gedenkstätte Steinwache in Dortmund vereinigt. Vorsitzender ist jetzt der ehemalige Gewerkschaftssekretär Ernst Söder.

In und um Dortmund hat die Gestapo im März und April 1945 hunderte in- und ausländische Nazigegner ermordet. Der Förderverein Steinwache/IRPK bleibt dabei: er bemüht sich weiterhin um die Aufklärung der Kriegsendphasenverbrechen im gesamten ehemaligen »Reichsgebiet«. Das Komitee arbeitet eng mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) zusammen und gehört der Föderation des Internationalen Widerstandes (FIR) an.

Es hat wiederholt die Justiz und Wissenschaft aufgerufen, sich der Aufklärung der Vorgänge in den letzten Kriegsmonaten zu widmen.

Mitte 2019 gibt es fast wöchentlich Neues zu unserem Thema. In Moosburg/Bayern pferchten die Nazis Tausende sowjetische Soldaten in das größte Gefangenenlager Deutschlands, berichtete die Süddeutsche Zeitung.

– Dieses Beispiel kündet erstens von einer lange bewußt verdrängten Geschichte: Erst jetzt stellt sich die Stadt Moosburg nach und nach ihrer Geschichte. Die Kleinstadt an der Isar tut sich seit jeher schwer mit der Aufarbeitung. Dass sich dies langsam ändert, ist das Verdienst einiger engagierter Bürger, die in Vorträgen, Ausstellungen und Büchern über das Schicksal der unter unmenschlichen Bedingungen inhaftierten – meist sowjetischen – Soldaten in Deutschlands größtem Kriegsgefangenenlager informieren. Dass bis heute keine genauen Zahlen darüber vorliegen, wie viele Menschen im Lager umkamen, auch nicht über die Zahl aus dem Frühjahr 1945, liegt auch an der Abwehrhaltung der Stadt, die sich jahrzehntelang gegen die Aufarbeitung sperrte. Ausdruck fand diese Geisteshaltung nach 1945 vor allem in der Einstellung gegenüber den Gefangenen, die während der Inhaftierung im Lager an Kälte, Hunger und Misshandlungen starben. Nach dem Krieg wollte man die »Russenleichen« in Moosburg nicht mehr haben. Daher wurden die Toten exhumiert, die letzten im Jahr 1958, und auf zentralen Soldatenfriedhöfen beigesetzt. Auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters wurde ein von der US-Armee gestifteter Gedenkstein entsorgt, vermutlich in einem nahegelegenen Steinbruch, wie Mitglieder des Stalag-Vereins rekonstruieren konnten. Die Inschrift eines zweiten, der den polnischen Gefangenen gewidmet war, wurde entfernt und durch »Unseren gefallenen Kameraden. Spielvereinigung Moosburg« ersetzt. Kein Kommentar. Noch dies: Die Mehrheit der sowjetischen Kriegsgefangenen, welche aus Sicht der NS-Ideologie als »slawische« oder »bolschewistische Untermenschen« galten, hatten im Lager keine großen Überlebenschancen.

– Zweitens gibt es die lange verzögerte Ehrung der Opfer: Im Dortmunder Phönix-See steht ein Denkmal zu Ehren eines Produktionsmittels: die Thomasbirne aus der Stahlproduktion, die hier jahrzehntelang in Betrieb war, bevor das Areal geflutet wurde. Daneben wird es – wenn alles gut geht – in 2019  ein weiteres Denkmal geben: das Denkmal für die Produzenten, in diesem Fall für die Zwangsarbeiter/innen.

Auch zur Erinnerung an jene rund 200, die noch kurz vor Kriegsende weggebracht und in einem nahen Wald ermordet wurden. Einen ersten Antrag für die Gedenkstätte stellte die VVN-BdA im Jahr 2002. Die Beharrlichkeit der Gedenkstättenbefürworter scheint nun erfolgreich zu sein.

– Drittens erfuhren wir manche Geschichten erst mit der Wiedervereinigung: Auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers Ellrich-Juliushütte wurden im Juni 2019 zwei Massengräber entdeckt. Im Areal rund herum, das heute zur Gemeinde Walkenried gehört, liegen die Überreste von mehr als 1000 Häftlingen, deren Leichen im März 1945 verbrannt wurden. Von 830 Toten sind die Namen bekannt. Das Lager im Kreis Nordhausen ist nach Buchenwald, Dora und Bergen-Belsen das viertgrößte in Ost- und Norddeutschland. Allerdings wurde es nach dem Krieg wegen seiner Lage direkt auf der deutsch-deutschen Grenze nicht zum Erinnerungsort an die NS-Verbrechen. Der Bundesgrenzschutz sprengte 1964 auf westlicher Seite das ehemalige Krematorium. Während es in Deutschland weitgehend vergessen ist, gilt Ellrich in Frankreich als eines der grauenhaftesten Konzentrationslager der Nazis, in das viele französische Widerstandskämpfer deportiert wurden. Mehr als 4000 Menschen starben in den Jahren 1944 und 1945 in dem Lager.

– Viertens gibt die wieder entdeckte Geschichte, nachdem diese 1945 durch die Weltpresse ging: Diese Tafel fanden wir im oberbergischen Lindlar. »Hier ruhen 10 ermordete osteuropäische Kriegsgefangene. Sie wurden in der Nacht zum 9. April 1945 im Brungerst bei Lindlar von Nationalsozialisten erschossen als Vergeltung für einen in Overath erschossenen NS-Parteigenossen«.

Der Vorgang wurde 1945 von der Informationsabteilung der US-Army weltweit bekannt gemacht. Der Hintergrund: Im Nachbarort Overath (nicht Lindlar) war am 31. März 1945 ein verhasster NS-Parteigenosse nachts auf der Straße erschossen worden, unweit eines Kriegsgefangenenlagers. Am 8. 4. 1945 wurden wahllos 22 unbeteiligte osteuropäische Kriegsgefangene (Russen, Polen, Ukrainer, Weißrussen u.a.) ergriffen und mit einem Lastwagen unter Beteiligung des Volkssturms nach Lindlar gebracht. Auf dem Transport konnten zwölf entkommen. Zehn wurden ermordet. Die Namen der Hauptver­antwortlichen für dieses Massaker waren bekannt. Sie konnten aber nie aufgespürt werden. Am 15. Juni 1945 ließen die Amerikaner die bereits stark verwesten Leichen von Lindlarer Bürgern mit bloßen Händen unter starker Bewachung ausgraben. Die Overather Täter wurden nicht herangezogen. Auf den Gedenktext an der St.-Severin Kirche, hinter dem Kolping-Denkmal, wird verwiesen: »Im Gedenken an die unschuldigen Opfer der NAZI-Tyrannei in Lindlar insbesondere zur Erinnerung an die 10 ermordeten Russischen Bürger, die einige Zeit auf diesem Kirchplatz bestattet waren und zur Erinnerung an die Opfer, die keine würdige Grabstätte erhielten.«

Diese guten Worte sollen allen Menschen gewidmet sein, an deren Schicksal wir mit diesem Buch erinnern.

Es war bei seinem Erscheinen 2008 das erste Buch zur Geschichte der Kriegsendphasenverbrechen. Es entstand als journalistische Arbeit und Zusammenfassung von zahlreichen Berichten, die uns von Geschichtswerkstätten und Erinnerungsarbeiter/innen zugingen. Mit ihrer Hilfe konnte auch diese vorliegende verbesserte Neuauflage erscheinen. Bis dahin hatte sich die Geschichtswissenschaft sehr zurückgehalten bei der Erforschung der letzten Kriegsphase.

2011 erschien dann Daniel Blatmans »Die Todesmärsche 1944/45 – Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords«, bei Rowohlt. Gleichzeitig erschien von Ian Kershaw »Das Ende – Kampf bis in den Untergang NS-Deutschlands 1944/45“ bei  DVA  München. Sven Keller folgte 2013 mit »Volksgemeinschaft am Ende – Gesellschaft und Gewalt 1944/45«, Oldenbourg Verlag München. Im Jahr 2018 legte dann Martin Clemens Winter sein Buch »Gewalt und Erinnerung im ländlichen Raum« vor. Untertitel: Die deutsche Bevölkerung und die Todesmärsche, Metropol Verlag.

Die Schwerpunkte dieser Werke sind unterschiedlich. Blatman grenzt sich von Daniel Goldhagens »Willigen Vollstreckern« ab. Er spricht nicht von einem letzten Kapitel der Shoa, sondern  von einer eigenständigen Abschlussphase des Regimes. Sven Keller untersucht die Rolle der organisierten NS-Gesellschaft bei Kriegsende, die von dem NS-Regime fest im Griff gehalten wurde und mehrheitlich an dem Verbrechersystem festhielt, um nicht der Rache der Sieger, vor allem der »Bolschewisten« ausgesetzt zu sein. Letzteres Phänomen wird auch von Martin Clemens Winter analysiert, wobei er auch der Minderheit gerecht wird, die sich solidarisch oder wenigstens allgemein menschlich verhielt.

Wir gingen bei der Erforschung vor allem der Endphasenverbrechen im Ruhrkessel zunächst davon aus, dass der NS-Apparat in Gestalt der Gestapo Zeugen ausschalten wollte. Indem wir den Kontakt zu zunächst rund 20 Städten mit Endphasenverbrechen aufbauten und ausweiteten und zudem den Blick auch auf die Monate nach dem Mai 1945 richteten, bekamen wir einen umfassenderen Eindruck vom Geschehen. Darüber gibt der Text – quasi das Nachwort – von Reinhard Opitz Auskunft. Das 1945ger Geschehen stellte das Ende des heißen und den Beginn des Kalten Krieges dar. Die Täter wurden häufig von Strafe verschont und gar wieder in den Dienst des neuen Staates genommen.

Sonja Zekri fällte in den »Ruhrnachrichten« vom 1. April 1994 ein vernichtendes Urteil über die ausgebliebene »Entnazifizierung«: »Die Zeit arbeitete für die Gestapo. Mit der neuen Kluft zwischen West und Ost verloren die englischen Alliierten spürbar das Interesse an einer Aburteilung. Schließlich sollten die Beamten den neuen deutschen Staat, der als Puffer gegen den Kommunismus funktionierte, stabilisieren. Ein erheblicher Teil der Gestapo-Beamten wurde später wieder bei der Polizei eingestellt.«

Die Auswirkungen der ausgebliebenen Entnazifizierung sind bis heute spürbar. Es gilt daher, den antifaschistischen Konsens der Demokraten aus der Nachkriegszeit wieder herzustellen.

Ulrich Sander, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten

Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee

Dortmund, den 1. September 2019

II.

Wie es zu diesem Buch kam – Nachwort aus dem Jahr 2008

Aus Anlass des 60. Jahrestages des 8. Mai 1945, des Tages der Befreiung von Krieg und Nazityrannei, trafen sich im März 2005 im Rathaus von Dortmund Menschen aus Orten, in denen die Nazis in der Endphase des Krieges Verbrechen begangen hatten. Das Internationalen Rombergparkkomitee mit Sitz in Dortmund hatte sie eingeladen. Das Komitee war im Januar 1960 von Überlebenden und Hinterbliebenen der Karfreitagmorde von Dortmund aus dem Frühjahr 1945 gegründet worden. Seine Mitglieder stammten aus all jenen Ländern, aus denen die Opfer stammten – also aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Jugoslawien, den Niederlanden, aus Polen und der Sowjetunion.

Während des Treffens am 24. März 2005 untersuchten die Teilnehmer – aus dem Ausland und aus rund 25 Städten – unter anderem die Fragestellung: »Welche Zukunftsvorstellungen verband die Opfer dieser Massenmorde kurz vor Kriegsende?« Teilgenommen an dem Treffen haben auch die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer FIR und die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und örtliche antifaschistische Initiativen, Historikerinnen und Historiker. Am Ende erklärten sie:

Kurz vor der Befreiung von Krieg und Faschismus wurden im Frühjahr 1945 Tausende Antifaschistinnen und Antifaschisten von den Nazis »ausgeschaltet« und ermordet. Während seit Herbst 1944 zahlreiche geheime Bemühungen von Nazioberen um eine Wende des Krieges – eine Wende zu einer Einigung mit dem Westen zur Fortsetzung des Krieges gegen den Osten, die Sowjetunion – unternommen wurden, ist gleichzeitig ein Mordfeldzug gegen deutsche und ausländische Antifaschisten und gegen deutsche Soldaten, die dem Wahnsinn ein Ende bereiten wollten, in Gang gesetzt worden. So sollte ihr Mitgestalten an einer grundlegenden Wende und an einer Nachkriegszeit ohne Nazis und Militaristen verhindert werden.

Diese Massenmorde wie auch die Massaker in den Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen von den KZ nach Westen entsprachen dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des deutschen Faschismus. Gestapochef Müller hatte versichert: »Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen wurde; wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben lassen.«

Bei dem Treffen im Dortmunder Rathaus wurden über 60 Tatorte von Kriegsendmorden in Deutschland benannt. Hinterbliebene der Opfer der Verbrechen und diejenigen, die heute in ihrem Sinne handeln, haben diese grauenvolle Bilanz zusammengetragen.

Ihre Kontakte und Vernetzung sollen gegen das Vergessen gerichtet sein und dem Erfahrungsaustausch darüber dienen, wie Erinnerungsarbeit vor allem mit der Jugend erfolgen kann.

Das Anwachsen von Antisemitismus, Neofaschismus und Rassismus in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, ist alarmierend. Das Vermächtnis von 1945 gebietet, dem entschlossen entgegenzuwirken.

Nicht zugelassen werden darf auch die offene und schleichende Umwidmung der Erinnerungsarbeit und der Gedenkstätten hin zu einem »Gedenken«, das auch die Täter als »Opfer« einschließt. Das EU-Parlament hat Anfang der 90er Jahre, als besonders in den neuen Bundesländern rechte politische Kräfte und auch solche der »Mitte« die Abwicklung und politische Umwidmung der KZ-Gedenkstätten betrieben, in einem einstimmig gefassten Beschluss den Schutz der Gedenkorte, die Bewahrung der Würde der Opfer und die Erinnerung an die Frauen und Männer, die durch den Naziterror ums Leben kamen, gefordert. Dieses Verlangen ist zu unterstützen. Wir verlangen nachdrücklich: Entschädigung der Opfer, Bestrafung der Täter.

Soweit in diesem Buch schwerpunktartig die Geschehnisse vor Kriegsende 1945 in und um Dortmund sowie in Gardelegen, Penzberg und einigen weiteren Städten und Gemeinden im Reich geschildert werden, enthält das vorliegende Buch Texte, Materialien und Recherchen von Willi Herzog (1901 bis 1970) zum Fall Rombergpark und Bittermark, Dr. Dirk Krüger zum Fall Wenzelnbergschlucht, Lore Junge zu Kriegsendverbrechen im Ruhrkessel, Regina Mentner zum Stalag VI D Westfalenhalle, Reinhard Opitz (1934 bis 1986) zur Politik der Nazis in der Endphase des Krieges, Dieter Saal zu den Vorgängen in Südwestfalen, Wera Richter zum Fall Gardelegen und Karl Stankiewitz zum Fall Penzberg. Die Federführung hatte Ulrich Sander (geb. 1941). Die Grundlagen für die Recherchen zum Fall Rombergpark / Bittermark legte Willi Herzog. Der Lehrer und Journalist, der 1933 als Mitglied der illegalen Bezirksleitung der KPD Ruhr verhaftet und ins KZ Börgermoor verschleppt wurde und später im Saarland und in Frankreich Widerstand leistete, war Mitglied des Landesvorstandes der VVN in Nordrhein-Westfalen und 1960 Gründungsmitglied des Internationalen Rombergparkkomitees.

Die Dokumentation der Orte mit Verbrechen am Kriegsende wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung vom 24. März 2005 im Dortmunder Rathaus und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Internationalen Rombergparkkomitees zusammengetragen, ferner von Geschichtswerkstätten und den Geschichtskommissionen und anderen Gruppen der Landesvereinigungen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten. Eine solche Dokumentation wird hier ebenso erstmals vorgelegt wie die Dokumentation mit Streiflichtern von den Todesmärschen – Streiflichter, denn eine vollständige Dokumentation ist kaum möglich, wie im Rahmen der Recherchen festgestellt wurde. Die Angaben über die Todesmärsche wurden von Wikipedia-Mitarbeitern und von den Mitgliedern der Mailinglist NS-Zwangsarbeit zusammengestellt, ferner von VVN-Gruppen.

Herzlichen Dank an die unbekannten Helferinnen und Helfer von Wikipedia und von der Mailinglist NS-Zwangsarbeit sowie den VVN-BdA-Landesvereinigungen; an Dieter Chitralla, Raimund Gäbelein, Lothar Eberhardt, Helge Kister, Friedhart Knolle, Christoph Leclaire, Inge Möller, Andrea Rudorff, René Senenko und Hermann Wenz. Ein besonderer Dank gilt dem Berater unseres Projektes und Autor des Vorwortes, dem VVN-BdA-Bundessprecher Prof. Gerhard Fischer (Berlin). Dr. Rainer Kawa hat das Manuskript durchgesehen; ihm sei gedankt. Besonderen Dank richte ich an Traute Sander und Michael Hermes, ohne die das ganze Projekt nicht möglich gewesen wäre.

Gisa Marschefski

für das Internationale Rombergparkkomitee

Ulrich Sander
Mörderisches Finale
NS-Verbrechen bei Kriegsende

Wikipedia über
Verbrechen in der Kriegs-Endphase

Ulrich Sander (Hg.)
Von Arisierung bis Zwangsarbeit –
Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945

Zum Beispiel Krupp. Der Konzern habe sich stets um einen humanen Kapitalismus bemüht, berichtete das Fernsehen zum 200jährigen Firmenjubiläum. Ob da auch an die zwölf Jahre nach 1933 gedacht war? Das letzte Tabu sei gebrochen, hatte es mit Blick auf die verdienstvolle Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ geheißen. Aber „blinde Flecken“ blieben trotzdem. So in einem Bereich, der weniger lautstark diskutiert wird, jedoch mindestens ebenso wichtig war für die Funktionsweise der faschistischen Herrschaft in Deutschland wie die Wehrmacht: Die Rolle von Wirtschaftsführern und Unternehmen bei faschistischen Planungen für Krieg und Massenmord, als Akteure und insbesondere als Profiteure. Das Buch stützt sich auf selbstrecherchiertes Material von Geschichtswerkstätten und VVN-BdA, um an Verbrechen der wirtschaftlichen Eliten an Rhein und Ruhr zu erinnern: Von Abs bis Zangen, von Flick bis Quandt, von IG Farben bis Oetker-Pudding, von Arisierung bis Zwangsarbeit. Und auch Krupp wird nicht vergessen.
Neue Kleine Bibliothek 178, ca. 346 Seiten mit zahlr. s/w-Abb.
EUR ca. 16,90 [D] / EUR 17,50 [A] / SFR 24,90
ISBN 978-3-89438-489-0

Hans Frankenthal (Schmallenberg und Dortmund)
Verweigerte Rückkehr
soeben in einer neuen Auflage erschienen