Gedenken in Lippstadt – Karsamstag 20.04.2019 – Rede Georg Deventer

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Sabine Pfeffer,

sehr geehrter Herr DGB-Kreisvorsitzender Holger Schild, verehrte Anwesende,

die Toten sind unter uns. Wir, die leben und  sehen, gedenken heute den sechs deutschen Metallarbeitern und sieben französischen Zwangsarbeitern, die 1945 von der Gestapo hier in Lippstadt verhaftet wurden und dann im Rombergpark bzw. in der Bittermark in Dortmund von der Gestapo ermordet worden sind.

Die sechs mutigen Metallarbeiter des Union Drahtseilwerkes hier in Lippstadt hatten sich gegen die schlechte Behandlung der Kriegsgefangenen durch die Bewacher im Betrieb gewandt und öffentlich ihre Empörung über den Eroberungskrieg Hitlers geäußert. Sie verbreiteten ausländische Rundfunknachrichten und standen in enger Verbindung zu den französischen Zwangsarbeitern, die nach Lippstadt verschleppt worden waren und hier zur Fronarbeit gezwungen wurden.

Von einem Spitzel auf die Spur gebracht, wurden die Metallarbeiter und französischen Kollegen von der Gestapo verschärft vernommen, dann ins Polizeigefängnis Herne überführt und in der Karwoche 1945 in einen Kerker in Dortmund-Hörde gebracht, wo sie mit anderen zusammengepresst auf ihren Abtransport in den Tod warteten. Bei Nacht und Nebel wurden die Gefangenen aus den Kellern geführt, Bewaffnete hatten ihre Hände mit Stacheldraht gefesselt. Vor den Bombentrichtern niederkniend werden sie von den Gestapobeamten erschossen und verscharrt.

Am gestrigen Karfreitag trafen sich viele hundert Menschen am Mahnmal in der Dortmunder Bittermark, um der Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten in der Kriegsendphase zu gedenken. Allein die sog. Karfreitagsmorde 1945 in der Bittermark und im Rombergpark zählten über 300 Opfer.  Wir betrauern diese Meere von Augen, zu Stein erschrocken, ihre Leiber geschändet und um ihr Leben gebracht.

Unser Freund und Mitstreiter im Förderverein der Mahn-und Gedenkstätte Steinwache und Internationales Rombergparkkomitee, Walter Liggesmeyer, Dortmunder Maler und Schriftsteller, mit ostwestfälischen Wurzeln und vor zwei Jahren verstorben, hat in einem Gedicht zu den Opfern des Naziterrors und des Holocaust gemahnt:

„In allen Zeiten

mag man

ihren Namen auch vergessen

Diese Asche bleibt –

Granit und schwarz“

Unermesslich: jedes einzelne Leid

Unbegreiflich: so viele Opfer des Naziregimes und des verheerenden Krieges.

Statistiken geben darüber keine Auskunft. Den oberflächlichen Menschen verhelfen sie eher, erduldetes Leiden aus dem Gedächtnis zu löschen.

Wir müssen begreifen: jeder Einzelne kam auf die Welt, um zu leben und zu lernen, aufzuwachsen und zu reifen, um zu lieben und geliebt zu werden, zu träumen und zu fühlen. Jeder Einzelne mit dem Recht auf Menschenwürde und Achtung.

Wir betrauern und beweinen die Opfer dieser menschenverachtenden und sinnlosen Gewalttaten, für die es absolut keine Rechtfertigung gibt. Wir müssen das Unrecht bekämpfen, wir müssen das Miteinander lernen, wir müssen Erinnern, wir müssen warnen und wir müssen handeln:

Denn inmitten unserer Gesellschaft sind

– Ausländerfeindlichkeit

– Gewalt gegen Andersdenkende

– Übergriffe gegen Schwache und Benachteiligte

– sind offenen gezeigter Rassismus, Antisemitismus und offen gezeigtes braunes     Gedankengut kein Randproblem mehr.

Auf der Straße, bei Versammlungen, in der Musikszene, im Internet, in den Medien werden unverhohlen heuchlerische und fremdenfeindliche Parolen und rechtsextremes Gedankengut propagiert. Das darf nicht zugelassen werden. Rechtsextremismus und Rassismus dürfen durch Gleichgültigkeit, stillschweigende Billigung und tatenloses Wegsehen nicht genährt werden.

Wir brauchen konsequente polizeiliche Reaktionen und wirkungsvolle strafrechtliche Konsequenzen für rechte Gewalt- und Straftäter und Volksverhetzer.

Bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind insbesondere im Bereich der Sozialpolitik und in der Arbeitsmarktpolitik, im Bereich der Politik für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien große Anstrengungen nötig.

Die beste Prävention gegen Gewalt und Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist eine sichere Lebensperspektive. Junge Menschen brauchen glaubwürdige Chancen auf gesellschaftliche Integration und Teilhabe. Man braucht konkrete Zukunftsperspektiven. Man braucht Anerkennung und keine Ausgrenzung.

Eine erfolgreiche Politik in diesem Sinne ist zwar kein Garant für eine Verhinderung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, doch o h n e sie sind alle präventiven Mühen vergeblich.

Schnell haben die rechten Demagogen begriffen, wie leicht sie Sozialschwache und an den Rand der Gesellschaft Gedrängte in ihren Bann ziehen können.

In der schulischen und außerschulischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind eine Vielzahl von Maßnahmen, Aktivitäten und Projekten nötig, um die junge Generation an demokratische und humanistische Grundwerte heranzuführen.

Dies alles muss nachhaltig geschehen.

Wichtig ist auch die Förderung der Integration der hier lebenden ausländischen Heranwachsenden in der mittlerweile schon dritten Generation. Sie haben keinen oder eben einen anderen Zugang zur deutschen Erinnerungskultur.

Wir brauchen ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Es gibt überall im Lande eine Vielzahl hoffnungsvoller Ansätze. In Dortmund zum Beispiel haben sich in einigen demokratischen Bündnissen viele Organisationen, Vereine, Verbände, Parteien, Kirchen und gesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen, um nicht tatenlos zuzusehen.

In Schulen, Jugendverbänden und Freizeitstätten werden nachhaltig Initiativen und Aktionen geplant und durchgeführt. Es werden Netzwerke geschaffen. Insbesondere die „Botschafter der Erinnerungen“, angestoßen vor gut 10 Jahren, sind hoffnungsvolle Zukunftsaussichten.

So tragen die jungen „Botschafter der Erinnerung“ seit einigen Jahren wesentlich zum Programm der gestrigen Gedenkveranstaltung am Mahnmal in der Bittermark bei. Und besonders freut uns die steigende Zahl der jungen Besuchergruppen der Mahn-und Gedenkstätte Steinwache.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Erinnerungsarbeit dient der Zukunft. Deshalb sind Veranstaltungen für historisches Erinnern notwendig, weil sie mahnen und die Erinnerung wach halten.

Verfolgung und Unterdrückung und eine perverse Perfektion organisierter Vernichtung von Menschen darf niemals mehr vom deutschen Boden ausgehen.

Wir gedenken aller Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft:

Jüdische Mitbürger, Widerstandskämpfer und Antifaschisten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Homosexuelle, verfolgte Christen und Zeugen Jehovas, verfolgte und getötete Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke.

Nie wieder Krieg.

Doch wieder ist Krieg. Nicht nur im Irak, Syrien oder im Jemen. Weltweit zählen wir etwa 40 „vergessene“ Kriege und bewaffnete Konflikte. Und deutsche Rüstungsfirmen machen  hervorragende Geschäfte mit Waffenlieferungen in alle Welt.

Sind wir ohnmächtig und hilflos? Können wir das ändern?

Eine andere Welt ist möglich. Wir dürfen nämlich nicht aufhören, uns gegen Gewalt zu richten. Wir dürfen nämlich nicht aufhören, die Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln zu fordern.

Und allen Worten müssen Taten folgen. Nur d a s können wir von anderen erwarten, wozu wir selbst bereit sind. Engagement ist wichtiger als je zuvor.

Ich möchte Bert Brecht zitieren:

„ Findet das immerfort Vorkommende nicht natürlich;

denn nichts werde natürlich genannt,

in diesen Zeit blutiger Verwirrung,

verordneter Unordnung,

planmäßiger Willkür,

entmenschter Menschheit,

damit nichts unverändert gelte“

Meine Damen und Herren, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

lassen Sie uns in Stille der Opfer gedenken. Die Toten sind unter uns.

Auf dem Foto: Wolf Stötzel, Georg Deventer, Ernst Söder am Gedenkstein in Lippstadt