Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Ulli Sierau,
verehrte Madame Godard, lieber Wolfgang Asshoff,
liebe Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung!
Meine Damen und Herren!
Wir klagen an! Wir klagen an den faschistischen Mob, der unsägliche Verbrechen an aufrechten Menschen und ihren Kindern verübt hat. Wir klagen an, wenn wir schweigen, schreien die Steine.
Heute gedenken wir der Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft, all‘ der Ermordeten, denen von den Nazis das Recht auf Leben abgesprochen wurde, derer die Widerstand leisteten, die ihr Leben als Andersdenkende verloren, die sich nicht beugten und ihre politische Überzeugung, ihre Moral und ihren Glauben nicht aufgaben.
Wir gedenken der Bittermarkopfer und tausender sowjetischer, französischer, polnischer und jugoslawischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, die den Massenmördern ausgeliefert waren.
Diese, von einem zivilisierten Verhalten weit entfernte Barbarei – vor allem der Gestapo – war nicht nur eine Tat bloßer Willkür, sie macht das Wesen des Faschismus aus.
Hände und Füße wurden diesen armen Opfern mit Stacheldraht gefesselt, ihre Leiber bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, so dass die Mehrzahl von ihnen nicht mehr zu erkennen war.
Warum diese Grausamkeiten? Oft wird gesagt, dass die Banditen nicht mehr auf einen „Endsieg“ hofften, dass sie Zeugen ihrer Verbrechen zum Schweigen bringen und sie als Mitgestalter Deutschlands ausschalten wollten.
Aber verehrte Anwesende. Das ist eine Verharmlosung der Untaten. Können Kleinkinder Zeugen sein? Muss man sie quälen und töten, um sie als Zeugen zu beseitigen? Nein und abermals nein! Die Schergen glaubten an ihren „Endsieg“ und sie waren von der Richtigkeit ihrer Verbrechen überzeugt. Sie hielten sich für die Elite der Nation. Tatsächlich waren sie unerträgliche Lumpen und feige Verbrecher. So bleibt nur ein Schluss: Es war reine Mordlust, die sie trieb. Sie beendeten ihren Abgang mit Totschlag, Raub und Mord, ebenso wie sie in Deutschland ihren Machtantritt begonnen hatten.
Millionen von Toten hat die braune Pest zu verantworten. Aber die Menschen sind nicht einfach gestorben. Sie wurden ermordet, zertrampelt, vergast, erschlagen, sie wurden erstickt, ersäuft, gehenkt, vergiftet, erschossen und abgespritzt. So stellten es die befreiten Buchenwälder in ihrem Schwur – heute vor genau 74 Jahren – am 19. April 1945 – fest.
Allein in Buchenwald wurden 56 Tausend Menschen ermordet. Man muss sich das vorstellen, die Zahlen sind abstrakt. Das sind beispielsweise alle Einwohner des Stadtbezirkes Hombruch bzw. Brackel oder in Dortmund-Aplerbeck.
Wir verneigen uns heute vor den Toten und wissen zugleich um die tiefen, lebenslang schmerzenden Wunden, unter denen die überlebenden dieser Schrecken und Verbrechen zu leiden haben.
Im Gedenken an das Leid und die im deutschen Namen begangenen Verbrechen, den weit in alle Bevölkerungskreise hineinreichenden Verlust von Humanität, bekennen wir uns dazu, wachsam gegenüber Unmenschlichkeit zu bleiben und uns gegen Ausgrenzung gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu Wehr zu setzen.
Ewiggestrige sind jedoch bestrebt, von den Ursachen des Faschismus und dem unermüdlichen Leid der Hitlerdiktatur und seiner internationalen Verbrechen abzulenken. Es gibt bei uns, wie in anderen Ländern, seit langem neofaschistische Umtriebe, die nicht verharmlost und unbeachtet bleiben dürfen und die wir benennen müssen.
So ist es auch nicht hinnehmbar, dass der von den deutschen Faschisten begangene Völkermord von Abgeordneten des Deutschen Bundestages stets verharmlost wird. Parteien, die eine rassistische Politik betreiben und die Nazizeit verharmlosen, dürfen in deutschen Landen keine Normalität werden. Sie sind überflüssig wie ein Kropf.
Der Rechtsextremismus sitzt in unserer Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür und an manchen Stellen droht er, die gesunden Zellen aufzufressen. Hetzer und Populisten von rechts sind Rechtsradikale und sie sind Deutschnationale mit ihrer völkischen Rhetorik, auch wenn sie mit Adelstiteln daherkommen.
Nicht nur in Deutschland, auch in anderen europäischen Ländern erfahren wir schon seit geraumer Zeit die Ernte des ausgesäten Windes, und aus einem lauen Lüftchen ist ein böser Sturm geworden. Doch das ist nicht der wünschenswerte, notwendige und frische Wind. Das ist der stinkende Wind aus der Kloake der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Die Ausgrenzung Andersdenkender, anders Gläubiger und anders Aussehender, ist allgegenwärtig. Die Repression gegen die freie Presse feiert in einigen Ländern fröhlichen Urstand. Es ist vielerorts eine Atmosphäre voller Hass und Gewalt entstanden. Die Wahrheit ist schon seit langem kein Maßstab mehr, alles wird behauptet und zusammengelogen, wenn es nur die Ängste und Vorurteile schürt. Und die herrschende Politik gibt diesen Stimmungen nach und befeuert sie auch noch.
Regierungen, wie beispielsweise in Italien, Polen und Ungarn machen die Gefahr einer Rechtsentwicklung in Europa deutlich. Mittlerweise haben diese Regierungen ihr politisches Profil unter das Motto „Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus“ gestellt.
Aber auch in Dänemark, Schweden, Österreich, in Frankreich und Großbritannien beobachten wir seit langem einen zunehmenden Rechtspopulismus, und im Baltikum ist es möglich, dass ehemalige Horden der SS öffentlich und mit dem Wohlwollen ihrer Regierungen ihre Paraden abhalten. Es ist unglaublich, dass diese Banditen aus dem deutschen Bundeshaushalt eine Rente beziehen, weil sie dem Führer bis zum Schluss gedient haben.
1945 haben die Menschen gesagt: „Nie wieder Krieg!“- Aber wie viele Kriege hat es seit 1945 gegeben, Kriege an denen auch unser Land beteiligt war. Jährlich werden fast zwei Billionen Euro für Rüstung und Krieg ausgegeben.
Die Rüstungsexporte und Rüstungsimporte steigen, über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht; auf der Suche nach Sicherheit ertrinken tausende Menschen im Mittelmeer, das zur tödlichen Grenze geworden ist. Die Kriege und bewaffneten Konflikte wie beispielsweise in Syrien, Kurdistan, im Irak, in Afghanistan oder der Ukraine nehmen kein Ende.
Wie lange, meine Damen und Herren, kann die Weltgemeinschaft das noch ertragen? Welche Sicherheiten haben wir, dass all diese Konflikte nicht eines Tages dazu führen, die Demokratien in Europa zu gefährden und es wieder zu totalitären Systemen kommen könnte?
Deshalb ist es notwendig, dass wir vor allem der jungen Generation immer wieder vor Augen führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die Menschenwürde mit Füßen trat, die Grundprinzipien mitmenschlichen Umgangs missachtete und einem von vielen Deutschen bejubelten Führer Allwissenheit und Allmacht zubilligte. Wir wissen, wohin uns das geführt hat. August Bebel hatte schon Recht, wenn er sagte, dass man nur dann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten kann, wenn man die Vergangenheit kennt.
Bemerkenswert und lobenswert sind die Aktivitäten der jungen Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung, die auch heute wieder diese Gedenkfeier vorbereitet und ausgestaltet haben. Liebe Freunde: Respekt für eure Aktivitäten und herzlichen Dank im Namen des Internationalen Rombergpark-Komitees für euren vorbildlichen und ermutigenden Einsatz. Ihr habt bisher einen ansehnlichen Beitrag in unserer Stadt für die Erinnerungskultur und in der Auseinandersetzung mit rechtsradikalen Tendenzen geleistet.
An den Gräbern der Ermordeten legen wir ein Bekenntnis ab zu Frieden, Toleranz und Gerechtigkeit. Wir schulden es den unschuldigen Opfern und unserer Nachwelt. Bekennen wir uns zu ihren Idealen von Menschenwürde und Freiheit.
Erinnern und gedenken, mahnen, aber auch handeln, das ist unsere Losung. Ja, wir wollen Frieden, ja wir wollen eine Gesellschaft ohne Nazihorden und ihre Ideologie. Dafür müssen wir kämpfen und wachsam sein. Faschismus ist keine Weltanschauung, sondern ein Verbrechen. Faschisten sind Verbrecher, denen wir uns in den Weg stellen müssen.
Der schon erwähnte Schwur von Buchenwald, vom 19. April 1945, dem wir uns verpflichtet fühlen, besagt in seiner Kernaussage „den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht und das Ziel zu erstreben, eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen.“
Günter Pappenheim, Häftling von Buchenwald, schreibt dazu. „Für mich war der Appell vom 19. April 1945 lebensbestimmend geworden. Wir 21 Tausend Überlebende des KZ Buchenwald schworen an diesem Tag und der Schwur wurde für uns der Kompass fürs Leben.
Und weiter: Wenn heute unterstellt wird, der Kerngedanke des Schwurs stelle die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland in Frage und gefährde sie sogar, ist eine unerträgliche Beleidigung der 56 Tausend Opfer und der Überlebenden des KZ Buchenwald.
Die Ungeheuerlichkeit des Vorwurfs mahnt uns, im Bemühen um eine gerechtere Welt nicht nachzulassen und keinen Schritt zurückzuweichen. Dabei standhaft zu bleiben verlangt, sich Wissen anzueignen, historische Zusammenhänge begreifen zu lernen und die Fähigkeit zu schlussfolgern, auszuprägen.
Die solche üblen Gedankengänge aushecken, mögen uns erklären, was vernünftiger ist, als eine Welt des Friedens und der Freiheit, die die Bekämpfung des Faschismus mit seinen Wurzeln impliziert.“
Für mich ist nicht klar, warum der Schwur von Buchenwald verfassungswidrig sein soll, das können sich nur Hirne ausgedacht haben, die die Vergangenheit bis jetzt nicht bewältigen konnten.
Das beeindruckende Mahnmal in der Bittermark, vor dem wir stehen, wurde Ende der fünfziger Jahre errichtet. Es soll die Menschen für immer an die grausame Naziherrschaft in Dortmund und vielen Ländern Europas erinnern. Es schweigt nicht, seine Steine schreien und mahnen uns zu kämpfen, rastlos zu kämpfen gegen Faschismus und Krieg.
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