Die Rede von Gisa Marschefski, Karfreitag 2008

Verehrte Angehörige der Ermordeten,
liebe Kameradinnen und Kameraden,
verehrte Anwesende,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Langemeyer!

In diesen Tagen ist es 63 Jahre her, seit das schier Undenkbare geschah. Um die 300 Frauen und Männer aus sieben Nationen Europas wurden hier, im Süden des Stadtgebiets, von Angehörigen der Geheimen Staatspolizei des Naziregimes gequält, ermordet und verscharrt. Mein Vater Erich Mörchel und sein Bruder Karl wurden, wie hunderte ihrer bekannten und unbekannten Kameradinnen und Kameraden des Widerstandes, Opfer eines zutiefst menschenfeindlichen Systems.

Die Zeit reicht nicht aus, um an dieser Stelle das Leid jener Menschen zu schildern, derer wir heute gedenken. Allein ein Blick auf die Fotos der exhumierten Mordopfer lässt erahnen, welchen Qualen sie ausgesetzt waren, bevor der tödliche Genickschuss ihrer Mörder sie traf. Tiefe Trauer umfängt uns, die Angehörigen, und sicher auch Sie, verehrte Anwesende, wenn wir diesen Platz mit seinem Mahnmal und den Gräbern unserer Toten betreten.

Es ist mehr als eine Bekundung unserer Trauer um die Ermordeten, die uns an jedem Karfreitag hier zusammenführt. Es ist mehr und mehr eine Kundgebung, welche unsere Trauer umwandelt in Sorge und Zorn darüber, dass 63 Jahre nach den Karfreitagsmorden von 1945 immer noch, und gegenwärtig verstärkt, geistige Erben der Nazimörder lauter und aggressiver werden. Nicht weit von hier, in Lippstadt, wurde vor kurzem ein Gedenkstein mit Farbe beschmiert. Dieser Gedenkstein trägt den Namen von sieben deutschen Arbeitern aus Lippstadt und von sechs ihrer französischer Kollegen. Gemeinsam wurden sie Opfer der deutschen, nazistischen Barbarei. Noch wissen wir nicht genau, wer das Denkmal für die Opfer der Rombergparkmorde geschändet hat. Wir erleben aber, dass solche Nazisschmierereien immer wieder auftauchen, in Lippstadt, in Dortmund und im ganzen Land.

Verehrte Anwesende, unter uns befinden sich Angehörige von einem der französischen Arbeiter, dessen Namen auf dem Gedenkstein in Lippstadt eingemeißelt ist. Zum ersten Mal nehmen Familienangehörige von Leon Chadirac, darunter dessen Tochter Brigitte Scamps-Chadirac, an den Gedenkveranstaltungen hier in der Bittermark und morgen in Lippstadt teil. Ich möchte ihnen sagen, dass ich zu tiefst empört bin darüber, dass das Andenken an Leon Chadirac und aller Rombergparkopfer von neonazistischen Banden geschändet wurde.

Dieses und zahlreiche andere Beispiele in unserer Stadt und im ganzen Land zeigen, wie notwendig es ist, gegen den Neonazismus und all seine Erscheinungen endlich mit staatlichen Mitteln vorzugehen. Ein sehr wichtiger und längst überfälliger Schritt wäre ein Verbot der neonazistischen NPD. Mehr als 175.000 Menschen in Deutschland haben mit ihrer Unterschrift die Aktion „NoNPD“ unterstützt und ein Verbot dieser Partei gefordert. Im Gedenken an meinen Vater und all seine hier ruhenden Kameradinnen und Kameraden rufe ich die Verantwortlichen in den Parlamenten und Regierungen auf: Verbietet endlich die neonazistische NPD, löst alle ihre Neben- und Unterorganisationen auf und verbietet ihre Aktivitäten!

Solche staatlichen Maßnahmen, verehrte Anwesende, können und sollen nicht den Einsatz der Demokraten für Demokratie, gegen jede Form des Rechtsextremismus und Neonazismus ersetzen. Im Gegenteil, solche staatlichen, polizeilichen Maßnahmen würden die Aktivitäten der Bevölkerung in Richtung der Verwirklichung unserer Verfassung begünstigen und dem Neonazismus den Boden entziehen. Der Rat der Stadt Dortmund hat einen lokalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus beschlossen. Dieser Plan, so scheint mir, ist ein geeignetes Mittel, die Demokraten zu aktivieren, um das Grundgesetz und die Landesverfassung mit Leben zu erfüllen und den Neonazismus in all seinen Erscheinungsformen zurückzudrängen. Ich möchte der Mehrheit der Ratsmitglieder, die diesen Plan beschlossen haben, danken und alle Ratsmitglieder auffordern, aktiv zu seiner Umsetzung beizutragen.

Erfreulicherweise wächst die Bereitschaft, vor allem jüngerer Menschen, aktiv zu werden gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Das hat nicht zuletzt die Aktion „Zug der Erinnerung“ vom vorigen Monat gezeigt. In drei Tagen haben in Dortmund mehr als 7.000 Menschen die Ausstellung über die Deportation jüdischer Kinder während der Zeit des Naziregimes besucht. Fast 80 Schulklassen und Jugendgruppen haben die Ausstellung besucht und mit Zeitzeugen Gespräche geführt. Ein solches Erinnern an den dunkelsten Abschnitt deutscher Geschichte wird gleichzeitig dem Andenken der hier ruhenden ermordeten Frauen und Männer gerecht.

Wenn die demokratischen antifaschistischen Kräfte in unserer Stadt gemeinsam gegen Neonazismus, Rassismus und Ausländerhass auftreten, haben die Neonazis keine Chance ihr verderbliches Werk fortzusetzen. Dann gehört Dortmund voll und ganz den Demokraten. Nehmen wir uns alle zu Herzen, was der Leiter der Arbeitsstelle Jugend und Demokratie, Thomas Oppermann, während des 1. Antifaschistischen Jugendkongresses am 23. Februar 2008 in Dortmund sagte: „Faschisten können nur so stark sein, wie die demokratische Kultur schwach ist.“