Buchvorstellung „Soldaten“

Sönke Neitzel 
Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben

Vortrag am Donnerstag, dem 29. September 2011, um 19 Uhr in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Dortmund

Sönke Neitzel und Harald Welzer legen in ihrem Buch auf einer einzigartigen Quellengrundlage erstmals eine überzeugende Mentalitätsgeschichte des Krieges vor. Auf der Grundlage von 150.000 Seiten Abhörprotokolle deutscher Soldaten in britischer und amerikanischer Gefangenschaft wird das Wissen um die Mentalität der Soldaten auf eine völlig neue Basis gestellt. In eigens eingerichteten Lagern wurden Kriegsgefangene aller Waffengattungen und Ränge heimlich abgehört. Sie sprachen über militärische Geheimnisse, über ihre Sicht auf die Gegner, auf die Führung und auch auf die Judenvernichtung. Das Buch liefert eine Rekonstruktion der Kriegswahrnehmung von Soldaten in historischer Echtzeit – eine ungeheuer materialreiche Innenansicht des Zweiten Weltkriegs durch jene Soldaten, die große Teile Europas verwüsteten.

Prof. Dr. Sönke Neitzel, geboren 1968, lehrt Neuere und Neueste Geschichte in Mainz und Saarbrücken; Gastdozent und Lehrstuhlvertretungen an der University of Glasgow, in Karlsruhe und Bern, 2010 Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Bekanntgeworden ist Neitzel mit „Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945“ (2005).

Eine Vortragsveranstaltung des Stadtarchivs in Zusammenarbeit mit dem Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

Trauer um Wladimir Gall

Der Förderverein Gedenkstätte Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee trauert um seinen Freund und Kampfgefährten Wladimir Gall aus Moskau, der am 9. September 2011 92jährig gestorben ist.

Wladimir Gall war wiederholt in Dortmund, auch bei den Karfreitagsveranstaltungen, zu Gast. So zeigte er im Jahr 2008 den DEFA-Film „Ich war 19“, in dem seine mutige Tag zur Rettung hunderter Zivilisten 1945 aus der Spandauer Zitatelle dargestellt wird. Er erreichte, dass SS und Wehrmacht dort am 1. Mai 1945 kapitulierten und nicht länger Frauen, Kinder und Greise als Geiseln hielten. Der Kommunist Wladimir Gall war Lehrer an der Antifa-Schule in Krasnogorsk, Hochschullehrer und Kulturpolitiker.

Wladimir Gall (rechts) 2008 in der Gedenkstätte Steinwache mit Ullrich Sander und Gisa Marschefski vom IRPK

Der Förderverein Gedenkstätte Steinwache/Internationales Rombergpark-Komitee trauert mit Galls Familie um einen großen und bescheidenen Menschen, der sei Leben dem Ringen für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg widmete. Seine beispielhafte humanitäre Tat sollte unvergessen bleiben.

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Zum Gedenken

Wladimir Gall zum Gedenken

Nach einem Text von Dietrich Schulze

Berlin im Mai 1945. In der Zitadelle Spandau haben sich Wehrmacht- und SS-Einheiten mit deutscher Zivilbevölkerung verschanzt. Wladimir Gall, ein junger Oberstleutnant der Roten Armee, wird als Parlamentär beauftragt, die Besatzung der Spandauer Zitadelle zur Aufgabe zu bewegen. Die Festung ist eingeschlossen und muss aus militärstrategischen Gründen eingenommen werden.

Der Festungskommandant, ein älterer Wehrmachtoffizier, bescheidet die Parlamentäre, dass seine Offiziere die Kapitulation ablehnen. Der Auftrag wäre damit erledigt. Doch Wladimir, der die deutsche Sprache beherrscht, durchdrungen von der Sinnlosigkeit dieser verbrecherischen Entscheidung, die den sicheren Tod vieler deutscher Zivilisten zur Folge haben würde, trifft eine spontane Entscheidung: Er fragt, ob er direkt mit den Offizieren sprechen könne. Der Kommandant hebt vielsagend die Schultern und antwortet ihm: „Wenn Sie meinen.“ Will sagen: „Wenn Sie sich in die SS-Höhle begeben und darin umkommen wollen, ist das Ihre Entscheidung.“

Sie klettern auf der Strickleiter die Brüstung hoch. Wladimir spricht zu den jungen, kaltblütigen SS-Offizieren, die von einer Entsatzarmee faseln. Er klärt sie über die Propaganda und über die tatsächliche militärische Lage auf. Nicht als gefühlter Sieger, sondern von Militär zu Militär, sachlich und beherrscht über die Aussichtslosigkeit der Lage informierend und darüber, dass die Zivilisten geschont werden sollten. Mit starker innerer Anspannung, einer unbewussten Mischung aus humanistischem Pflichtgefühl und der Wahrnehmung der Gefahr.

Dann wird ihm eine Augenbinde angelegt und er wird abgeführt. Erst in diesem Augenblick, sagt mir Wladimir (Wolodja) in einem Gespräch nach einer Filmvorführung, sei ihm bewusst geworden, in welcher Lebensgefahr er schwebte. Über Geheimgänge wird er aus der Zitadelle heraus geführt. Doch sein beherzter Auftritt hat seine Wirkung nicht verfehlt: Am nächsten Tag kapitulierten die faschistischen Militärs, die deutsche Zivilisten als Geiseln verheizt hätten, so wie das anderenorts geschah, zum Beispiel bei Halbe.

Der Sowjetbürger Wladimir Gall rettete ihnen das Leben. Wie seine Mitstreiter in der Roten Armee hat er gegen die deutschen Faschisten, nicht gegen die Deutschen gekämpft. Deutsche Antifaschisten kämpften Schulter an Schulter mit den Soldaten der Alliierten, im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) auf der Seite der Sowjetunion und im „Nationalkomitee Freies Deutschland für den Westen“.