26. April 2012: Zwangsarbeit im deutschen Kohlenbergbau

Vortrag von Dr. Hans-Christoph Seidel

Die Steinkohle bildete die wichtigste Rohstoffgrundlage der deutschen Kriegswirtschaft zwischen 1939 und 1945. Zur Sicherung des riesigen Kohlenbedarfs der Rüstungswirtschaft, der Chemischen Industrie, der Energiewirtschaft, der Reichsbahn, der privaten Haushalte und zahlreicher anderer Verbraucher wurden seit 1940 Hunderttausende ausländischer Zivilarbeiter und Kriegsgefangener auf den Steinkohlenzechen beschäftigt, zunehmend unter Zwangsbedingungen. Der Steinkohlenbergbau entwickelte sich rasch zu einem der wichtigsten Einsatzfelder für Zwangsarbeiter in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft.

Donnerstag, 26. April 2012, 19 Uhr in der Steinwache, Dortmund

Dr. habil. Hans-Christoph Seidel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für soziale Bewegung der Ruhr-Universität Bochum und hat 2005 zusammen mit Klaus Tenfelde das Standardwerk zum Thema Zwangsarbeit im Bergbau veröffentlicht.

Karfreitagsgedenken 2012

Bericht auf Der Westen

Bericht in den Ruhrnachrichten

Die Rede von Gamze Kubasik, Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik

Weg der Erinnerung erstmals der Öffentlichkeit präsentiert
Zum Karfreitagsgedenken 2012 in Dortmund wurde der Weg der Erinnerung, ein Projekt des Dortmunder Jugendringes in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee, zum ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt. Hier finden Sie eine Internetpräsentation des Projektes.




Der Beitrag der jungen Botschafter der Erinnerung

Ausgrenzung
Ich gehöre nicht dazu. Ich bin wertlos. Sie sagen, ich tauge nichts. Auf der Arbeit lassen Sie mich spüren, dass ich nicht dazugehöre. Ich will und kann auch gar nicht wie sie sein. Weder bin ich arisch, noch will ich Volksgenosse sein. In ihren Augen darf ich gar nicht sein.

Ungerechtigkeit
Warum ich? Was habe ich getan? Ich werde bestraft, die anderen nicht. Ich habe kein Verbrechen begangen. In ihren Augen schon: Ich lebe. Ja, das ist für sie ein Verbrechen. Warum bin ich schlechter als andere Menschen? Was an mir ist weniger wert?

Willkür
Ich sehe die Menschen auf den Straßen. Ich versuche mich zu verstecken, nicht aufzufallen. Sie brauchen keinen Grund. Sie tun einfach das, was sie wollen. Keiner kann sich dagegen wehren. Was mit mir geschieht, weiß ich nicht. Wo ich hingebracht werde, weiß ich nicht. Ob ich wieder nach Hause komme, weiß ich nicht.

Zwangsarbeit
Ich muss arbeiten. Mein Leben dreht sich nur noch um Arbeit. Ich stehe auf, werde zur Arbeit gerufen. Ich gehe zu Bett, erschöpft von der Anstrengung. Das ist mein Lebensinhalt. Ich muss bis zur Erschöpfung und darüber hinaus arbeiten. Ich darf nicht schwach sein. Ich darf nicht nachlassen

Ausbeutung
Ich darf leben, um zu arbeiten. Ich bekomme Schläge, wenn ich zu langsam bin. Ich bekomme Schläge, wenn ich müde bin.
Ich bekomme Schläge,… egal was ich tue. Meine Arbeit macht den Krieg möglich. Ich arbeite für das Deutsche Reich. Sie profitieren an mir.

Sehnsucht
Ich will weg! Zu meiner Familie, meinen Kindern. Gibt es denn gar nichts Gutes mehr auf der Welt? Denkt keiner mehr an meine Gefühle? Mir geht es schlecht, mir fehlt etwas.  Meine Leidensgenossen haben das gleiche Sehnen, aber das hilft uns nicht. Das interessiert hier niemanden.

Verlust
Wie geht es meinen Lieben?  Wie ist die Lage in meiner Heimat? Ich werde es nie erfahren. Ich habe keine Familie mehr. Ich habe keine Freunde mehr. Ich habe kein Zuhause mehr. Mir wurde alles genommen. Sie haben mir meinen Glauben, meine Freude und meinen Mut genommen. Was wollen sie mir noch nehmen?

Qual
Ich habe Hunger. Ich habe Durst. Ich habe Schmerzen. Ich bekomme Schläge und Tritte. Ich darf nicht schwach werden. Ich muss weiter arbeiten. Ich werde beschimpft. Ich werde „Parasit“ genannt. Ich muss arbeiten. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Ich lebe in Ungewissheit. Jede Minute, jede Sekunde bringt neue Erniedrigungen und Qualen. Wann hört das auf?

Tod
Das Ende ist nah! Die Befreier stehen schon an der Stadtgrenze! Ich kann nicht mehr, bin erschöpft, müde, kaputt. Mit letzter Kraft halte ich mich am Leben, ich hoffe auf die Befreiung. Die Schergen holen mich ab. Was wollen die noch von mir? Warum werde ich auf einen Lastwagen gebracht? Wir fahren in den Wald.




Grußwort von Gamze Kubasik


Als wir damals in der Schule im Geschichtsunterricht das Thema Hitlerzeit hatten und unsere Lehrerin vorne stand und uns die schreckliche Geschichte erzählte, waren wir als Klasse still und hörten ihr aufmerksam zu. Dann haben wir Filme gesehen über diese schreckliche Zeit. Ich dachte mir: „Wie schlimm muss das damals gewesen sein!“ Und erinnere mich, dass ich teilweise meine Tränen nicht unterdrücken konnte während des Filmes.

Es wurden unschuldige Menschen gequält, misshandelt und ermordet. Viele Angehörige mussten sogar zuschauen, wie ihre Mütter, Väter, Kinder, Verwandten und Bekannten umgebracht wurden. Ich dachte mir damals: „Wie kann man so einen Schmerz verkraften?“

Heute denke ich es nicht, ich fühle es. Mein Vater Mehmet Kubasik wurde am 4. April 2006 in unserem Kiosk ermordet. Jahrelang wussten wir nicht, warum und weshalb. Heute wissen wir es: Es waren Neonazis, die meinen Vater umgebracht haben.

Ich kann es einfach nicht akzeptieren, dass mein Vater so sinnlos sterben musste. So sinnlos sterben musste wie damals diese unschuldigen Menschen. Ich finde keine Worte für meinen Schmerz. Heute wünsche ich mir nur eins: Es soll kein weiterer Mensch so sinnlos sterben! Kein Kind, keine Ehefrau und all die anderen Familienangehörigen sollen so leiden wie wir es tun.

Zum Schluss möchte ich ein Gedicht von einem türkischen Dichter namens Nazim Hikmet, das ich bereits bei der Gedenkfeier in Berlin vorgetragen habe, nochmals vortragen. Denn dieses Gedicht sagt das, was wir fühlen und empfinden:

„Leben“
von Nazim Hikmet

Leben wie ein Baum /
einzeln und frei /
brüderlich wie ein Wald /
das ist unsere Sehnsucht.




Die Rede von Bürgermeisterin Birgit Jörder

Sehr geehrter Herr Söder,
liebe Dortmunderinnen und Dortmunder,
verehrte Gäste aus dem In- und Ausland,

wie jedes Jahr am Karfreitag versammeln wir uns auch heute wieder am Mahnmal in der Bittermark. Es ist lange und gute Tradition in Dortmund, dass wir an diesem Tag an die fast 300 Frauen und Männer erinnern, die noch in den letzten Kriegstagen hier ermordet wurden.

Hier, an diesem Ort, wurden sie durch die Schergen des NS-Regimes umgebracht. Neben deutschen Landsleuten aus dem Widerstand waren es Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, verschleppt aus Belgien, Frankreich, Jugoslawien, den Niederlanden, Polen und Russland. Ihre genaue Zahl kennen wir nicht, von vielen nicht einmal den Namen.

Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hierher gekommen sind, um mit uns gemeinsam dieser Opfer zu gedenken. Zu gedenken und zugleich zu erinnern – an ein Verbrechen zu erinnern, das auch noch 67 Jahre später in seiner Brutalität und Sinnlosigkeit nur Fassungslosigkeit und Scham zurücklässt.

Die Menschen, die hier ermordet wurden, mahnen uns, alles zu tun, damit sich eine solch schändliche Tat niemals wiederholt. Es ist und bleibt unsere Verpflichtung, diese Erinnerung wachzuhalten. Und leider muss man sagen: Es ist notwendiger denn je! Nicht wenige Menschen in unserem Land und auch in unserer Stadt haben sich doch gerne der bequemen Überzeugung hingegeben, dass der nationalsozialistische Ungeist 1945 mit seinen Protagonisten ein für alle Mal Geschichte sei. Dass da in unseren Tagen wieder braune Schlägertrupps auf den Straßen antisemitische Hassparolen grölen und fremd aussehende Menschen verprügeln, das wurde bislang nur allzu gerne als Betriebsunfall einer ansonsten demokratisch und multikulturell orientierten Gesellschaft heruntergespielt.

Wer nicht unmittelbar davon betroffen ist, für den ist das ja auch bequem und stört nicht die eigene Wohlbefindlichkeit. Das letzte Jahr hat da manche Selbstgewissheit und Überzeugung erschüttert, hoffentlich nachhaltig erschüttert. Hat nicht jeder von uns ungläubiges Entsetzen verspürt, als wir zur Kenntnis nehmen mussten, dass ein Trio aus dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ über viele  Jahre unbehelligt seine blutige Spur durch Deutschland ziehen konnte?

Auch in Dortmund schlugen diese Mörder zu. Am  4. April 2006 erschossen sie in der Dortmunder Nordstadt Mehmet Kubasik, Deutschtürke und dreifacher Familienvater, in seinem Geschäft. Heute weilt seine Tochter Gamze unter uns, die ich an dieser Stelle herzlich begrüße. Ebenso herzlich begrüße ich die Generalkonsulin Frau Özkaya vom türkischen Generalkonsulat in Essen, die heute hierher in die Bittermark gekommen ist. Ich danke beiden,  dass Sie an diesem Gedenken teilnehmen und Frau Kubasik sich bereit erklärt hat, heute zu uns zu sprechen. Wir denken heute natürlich besonders auch an Ihren Vater, Ihre Familie und das Leid, das ein paar Mörder über Sie gebracht haben.

Zehn Morde, neun davon an ausländischen Mitbürgern. Begangen aus den niedrigsten Motiven, aus Fremdenhass und aus dem Wahn, etwas Besseres, Überlegenes zu sein. Aber niemand erkannte offenbar, was da vor sich ging. „Döner-Morde“ nannte man die Verbrechen. Das war ein eingängiges Etikett und wies auch gleich in eine bestimmte Richtung, ein fremdes Milieu mit seinen fremden Bräuchen. Ausländer eben, Migranten mit ihren undurchsichtigen Geschäften, und dort müssten wahrscheinlich auch die Gründe für die Morde liegen – das war der Tenor der medialen Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung. Auch das war bequem und störte kaum die eigene Wohlbefindlichkeit.

Als schließlich – mehr durch Zufall als durch akribische Ermittlungen – die Wahrheit ans Tageslicht kam, da war das Entsetzen groß: Wie konnte das geschehen? Wer hatte da versagt? Fragen, die immer noch einer klaren Antwort harren und die Untersuchungsausschüsse, Justiz, Geheimdienste und  Polizei noch lange beschäftigen werden. Und beschäftigen müssen! Denn eine lückenlose Aufklärung ist das Mindeste, was wir den Opfern und ihren Angehörigen schulden. Auch an sie denken wir heute.

„Döner-Morde“ wurde zum Unwort des Jahres 2011 gewählt. Aber wieviel schwerer wiegt das dahinter stehende Denken? „Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein“, sagte die Tochter eines ermordeten Deutschtürken auf der zentralen Trauerfeier in Berlin. Es ist beklemmend, dass die Mordopfer und ihre Angehörigen über Jahre in ein trübes Licht diffuser Verdächtigungen getaucht wurden. Auch das ist eine Form von Missachtung, die uns zu denken geben sollte.

Meine Damen und Herren, leider müssen wir feststellen, dass auch unser Dortmund nach wie vor ein erhebliches Problem mit rechtsextremistischen Aktivitäten hat. Rassistische Parolen, wachsende Gewaltbereitschaft und Einschüchterung, selbst vor Todesdrohungen schreckt der braune Mob nicht zurück. Wir nehmen diese Entwicklung sehr ernst.

Mit unserem „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ wollen wir kommunale Maßnahmen und bürgerschaftliches Engagement gegen den menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Rechtsextremismus bündeln. Der braune Sumpf muss ausgetrocknet werden, und das muss in den Köpfen beginnen. Vor allem unsere Jugend soll erkennen, dass rechtsextremes Denken und Handeln sie um ihre Zukunft bringt.

Wenn es gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geht, dann dürfen wir keinen Kompromiss kennen. Staatliches und kommunales Handeln hat alles daranzusetzen, solchen Gedanken und Parolen zu wehren. Das kann uns aber nur gelingen, wenn der Widerstand gegen Rechts dauerhaft aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen Frauen und Männern und vor allem den Jugendlichen danken, die sich dafür engagieren.

Besonders freut mich, dass auch an der heutigen Gedenkveranstaltung wieder viele junge Menschen mitwirken und als Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung einen Beitrag leisten. Ihnen, sowie allen, die zum Gelingen beitragen, gilt mein herzlicher Dank.

Jedes Eintreten für ein Dortmund, das durch Offenheit, Vielfalt und gegenseitigen Respekt geprägt ist, in dem man Gewalt, Hetze und Intoleranz entschieden entgegentritt, das verdient jede Anerkennung und Unterstützung. Lassen Sie alle darin nicht nach, auch wenn die Erfolge zuweilen scheinbar klein und die Belastungen hoch sind. Ihr entschiedener, aktiver demokratischer Bürgersinn setzt über alle staatlichen Verordnungen und Gesetze hinaus das wichtigste Zeichen gegen den rechtsextremen      Ungeist: Dass er in dieser Gesellschaft weder willkommen noch geduldet ist, weil die Menschen ihn verabscheuen.

Meine Damen und Herren, vor 52 Jahren wurde dieses Mahnmal fertiggestellt. Es war von Anfang an nicht nur eine Gedenkstätte für die hier ermordeten Menschen, es war zugleich auch ein Symbol der Aussöhnung und Verständigung. Ich erinnere an unsere französischen Freunde, Kriegsgefangene und Deportierte von einst, die hierher zurückgekommen sind, um der Toten zu gedenken und gleichzeitig den Unterdrückern von einst die Hand zur Versöhnung zu reichen. Sie haben ganz wesentlich zur Gestaltung dieses Mahnmals beigetragen.

Diese großmütige Haltung, auch vieler Menschen in anderen Ländern, die unter dem Nazi-Terror gelitten hatten, war entscheidende Voraussetzung und zugleich Grundlage für das europäische Einigungswerk. Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit in einer demokratischen Völkergemeinschaft dauerhaft zu verwirklichen – das nahm damals seinen Anfang, und das bleibt für Gegenwart und Zukunft ständige Aufgabe.

Viel haben wir in unseren Tagen in Europa erreicht, niemand hätte damals wohl gewagt, diese Erfolgsgeschichte vorauszusehen. Aber was über die Jahrzehnte so glatt und zielsicher irgendwie immer nur nach vorne lief, das scheint auf einmal ins Stocken zu geraten. Was fehlt? Wer Ursachen, Gründe und Anlässe für die gegenwärtige europäische Krise sucht, der wird in den Medien mit politischen Interessen und finanzpolitischen Finessen jeden Tag reich bedient. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf einen ganz anderen Aspekt lenken: Solidarität.

Als vor mehr als 50 Jahren ehemalige Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene hierher kamen, da war das ein Akt praktischer Solidarität. Diejenigen, die gelitten hatten, boten denen, die Leid zugefügt hatten, Verzeihung, Versöhnung und Solidarität an. Ohne diese Bekundung menschlicher Solidarität hätte Deutschland nie in den Kreis der freien Völker zurückkehren können.

Wir leben heute in einem freien und vergleichsweise reichen Land, das seinen geachteten Platz in Europa und der Welt gefunden hat. Demokratie, Rechtssicherheit und soziale Sicherung sind für uns selbstverständlich. Das war möglich, weil nach dem totalen Zusammenbruch Länder und Menschen uns solidarisch einen Neubeginn ermöglicht haben. Solidarität war, ist und bleibt das Fundament unseres sozialen demokratischen Staates. Solidarität war, ist und bleibt das Fundament des so viel beschworenen europäischen Hauses.

Und da sind wir als Deutsche jetzt auch mal zur Solidarität mit unseren Partnern gefordert. Ohne Belehrung und Besserwisserei, einfach nur solidarisch. Ohne Solidarität bleibt Europa ein blutleeres Konstrukt. Dieses Mal ist es an uns, etwas für die europäische Zukunft zu tun. Auch dazu mahnen uns die Toten und Entrechteten, deren wir hier gedenken.





Die Rede von Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee


Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jörder,
sehr geehrte Frau Kubasik,
meine Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde aus dem In- und Ausland!

Auf Wunsch unserer holländischen Freunde vom Rombergpark-Komitee, für das ich hier spreche, möchte ich den Text eines Liedes an den Anfang meiner Ausführungen stellen. Die einförmige, stimmungsvolle Melodie machte es zu einem beliebten Trauerlied in der Arbeiterbewegung. Und auch hier beim Gedenken an die Opfer in der Bittermark wurde es in früheren Jahren mehrfach, insbesondere von jungen Leuten, vorgetragen.

Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin,
wir stehen und weinen, voll Schmerz Herz und Sinn.
Ihr kämpftet und starbet für kommendes Recht,
wir aber, wir trauern, der Zukunft Geschlecht.

Einst aber, wenn Freiheit den Menschen erstand
und all euer Sehnen Erfüllung fand,
dann werden wir künden, wie ihr einst gelebt,
zum Höchsten der Menschheit empor nur gestrebt.

Als Opfer seid ihr gefallen im Streit,
in heiliger Liebe zum Volke.
Ihr wart für die Menschheit zu geben bereit
die Freiheit, das Glück und das Leben.

Gelitten habt ihr im Kerkerverlies,
bis dass euch des Blutrichters Urteil stieß
in des Grabes dunkles Bette –
und weiter klirrt die Kette.

Meine Damen und Herren, erneut erinnern wir heute an dieser denkwürdigen Stelle an die Mordtaten der Hitlerfaschisten im Rombergpark und in den Bittermarker Wäldern. Wir gedenken der Frauen und Männer, die 1945 einem Verbrechen zum Opfer fielen, das zu den größten Schandtaten in der Geschichte unserer Stadt zählt.

Nahezu 300 Menschen – Widerstandskämpfer aus Dortmund, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Frankreich, aus Polen und der Sowjetunion, aus Belgien, den Niederlanden – wurden ermordet, weil sich im März und April 1945 eine menschenverachtende Ideologie mit dem Chaos und der Panik der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges zu einer tödlichen Mischung zusammenbraute.

Die tödliche Angst vor der Zukunft trieb die faschistischen Tyrannen zu verzweifelten Taten gegen all diejenigen, von denen sie annehmen konnten, sie würden sich nach dem Kriege an den braunen Gewaltherrschern rächen. Zwischen Trümmern und Mord arbeitete selbst in diesen Tagen noch ein pedantischer Büroapparat.

Im Angesicht der Befreiung

Am Dortmunder Stadtrand stehen im April 1945 bereits amerikanische Truppen. Hier ist der Zweite Weltkrieg zu Ende. Viele Menschen suchen einander. Hannelore Gillessen sucht ihre Mutter, die von der Polizei verhaftet wurde; Frauen warten auf ihre Männer. Jetzt war es doch vorbei mit KZ und Kerkern und Krieg, zumindest in Dortmund. Ihre Väter und Männer müssten doch irgendwo sein, die die Gestapo verhaftet hatte… Doch da schwirren unheimlich grausige Gerüchte durch die Stadt: „Im Rombergpark und in der Bittermark muss etwas Schreckliches geschehen sein.“

Der Sohn des Bergmanns Karl Schwartz aus Hombruch will seinen von der Gestapo verschleppten Vater finden. Er hatte ebenfalls von den Gerüchten gehört, dass es in der Bittermark und im Rombergpark zu Schießereien gekommen sei. Er sucht seinen Vater in der Gestapohölle in der Benninghofer Straße in Hörde, in die sein Vater nach seiner Verhaftung gebracht worden war, doch dort ist niemand mehr. Die Naziverbrecher und Gestapobeamten hatten sich nach den bestialischen Mordtaten von Hörde nach Hemer abgesetzt, sich mit falschen Papieren versehen und sind untergetaucht.

Die in der Bittermark und im Rombergpark Ermordeten wurden von der Nazipolizei im März und April 1945 von Hörde, mit Stacheldraht gefesselt und in Lastwagen gepfercht, abtransportiert und zur Hinrichtungsstätte in die abgelegenen Waldgebiete gefahren. Der junge Mann befürchtet, dass sein Vater dabei gewesen und ermordet worden ist. Er will Gewissheit und begibt sich in die Bittermark. Im Lehm eines zugeschütteten Bombentrichters beginnt er zu graben und stößt auf die Brust eines Menschen. Immer mehr Trichter werden von Suchenden geöffnet, immer mehr Tote geborgen. Sie alle sind durch Genickschuss erschossen, verstümmelt und erschlagen worden.

Rombergpark und Bittermark, das war der Gesprächsstoff in Dortmund und den Nachbarstädten in jenen Tagen. Sechs Bombentrichter mit ungefähr 200 Ermordeten fanden die Suchenden im Rombergpark, und nicht weit davon entfernt, in der Bittermark, wurden noch drei weitere Massengräber entdeckt.

Mordanklage erst auf Druck der Bevölkerung

Erst sieben Jahre nach den Karfreitagsmorden begann im Januar 1952 vor dem Dortmunder Schwurgericht ein Prozess gegen die Täter. Die Anklage gegen 27 Gestapobeamte lautete: Aussageerpressung im Amt in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, dazu Beihilfe zur Tötung. Erst aufgrund starken Drucks der Bevölkerung sah sich die Staatsanwaltschaft im Verlaufe des Prozesses gezwungen, die Anklage auf Mord zu erweitern.

Am 4. April 1952 erging das Urteil: Von den Angeklagten wurden 15 freigesprochen, einer der Verurteilten erhielt eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren. Die meisten übrigen Verurteilten wurden mit durchschnittlich sechs Monaten Gefängnis belastet, die Zeit durch Untersuchungshaft verbüßt. Einige arbeiteten später wieder bei der Polizei und wurden befördert.

Die Angeklagten hätten „nur Befehle ausgeführt“, so das Gericht, weil sie unter dem Militärstrafgesetz stehende Personen gewesen seien, denen zudem ein Notstand bei der Befehlsausübung zugebilligt werden müsse. Die Richter des Landgerichts vertraten die Auffassung, die Schuld an dem Verbrechen treffe allein den Vorgesetzten, der die Befehle zur Exekution gab.

Das Urteil mag ein Indiz dafür gewesen sein, dass in den fünfziger Jahren noch ehemalige Nazis in wichtigen Positionen des Gerichts beschäftigt waren und ihre ehemaligen Parteifreunde schonen wollten.

Verantwortung endet nicht

Wir haben allen Anlass, das dunkelste Kapitel unserer Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren, um den Nachgeborenen und künftigen Generationen immer wieder vor Augen zu führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die Menschenwürde in Deutschland mit Füßen trat, die Grundprinzipien mitmenschlichen Umgangs missachtete und einem von vielen lange bejubelten Führer Allwissenheit und Allmacht zubilligte.

Gedenken ist kein Selbstzweck, und es darf nicht zum Ritual verkommen. An diese Selbstverständlichkeit ist zu erinnern, weil es auch heute, 67 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, wieder vielstimmig heißen wird, nun sei es doch endlich genug, nun müsse doch auch einmal Schluss sein.

Nein, meine Damen und Herren, Verantwortung endet nicht. Und die Lehren, die aus den furchtbaren Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zu ziehen sind, gelten jetzt und heute. Sie mahnen zu einem entschiedenen Eintreten gegen Antisemitismus und Rassismus, gegen Neofaschismus, Krieg und Gewalt.

Die Beschwörung „Nie wieder! Nicht noch einmal!“ wird – so bleibt zu hoffen – auf einen fruchtbaren Boden fallen. Die Stadt Dortmund und die vielen antifaschistischen Verbände, viele Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulzweige und die Jugendverbände haben in Dortmund eine Kultur des Erinnerns geprägt, die in diesem Ausmaße kaum mit anderen Städten vergleichbar ist. Da möchte ich insbesondere auch die Arbeit in und mit der Steinwache nennen, der Mahn- und Gedenkstätte, die in besonderer Weise die Geschehnisse des Dortmunder Widerstandes repräsentiert und ein unvergleichbarer Ort der Erinnerung und Mahnung ist. Und der Widerstand gegen Rechts hat in Dortmund darüber hinaus viele Bündnispartner zusammengeführt, die gemeinsam gegen Rassenhetze und Rechtsradikalismus aktiv wirken und zusammenstehen.

Ganz besonders beeindruckt – und das möchte ich an dieser Stelle besonders erwähnen – haben mich die jungen Leute, die als „Botschafter der Erinnerung“ gemeinsam mit Jugendlichen aus Frankreich den „Weg der Erinnerung“ geprägt und den Opfern Namen und Gesicht zurückgegeben haben. Respekt vor diesen Aktionen, die vom Jugendring Dortmund, dem Jugendamt, der Steinwache und dem Oberbürgermeister unterstützt werden!

NPD und Kameradschaften verbieten!

Ewiggestrige sind jedoch bestrebt, von den Ursachen des Faschismus und von dem unermesslichen Leid der Hitlerdiktatur und seiner Verbrechen in Deutschland abzulenken. Es gibt in unserem Land und anderswo in Europa neofaschistische Umtriebe, die nicht verharmlost und unbeobachtet bleiben dürfen. Staatliches Handeln gegen die Neonazis ist dringend erforderlich.

Ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD und die neonazistischen Kameradschaften sollte möglichst bald auf den Weg gebracht werden. Es reicht uns, was wir am Ende des letzten Jahres erfahren mussten, dass Verfassungsorgane sich sehr labil erweisen, ihrer Aufgabe infolge fehlerhafter Einschätzung nicht nachgekommen sind und Neonazis in den vergangenen Jahren schon wieder Menschen gemordet haben. Die abscheulichen Taten der Zwickauer Terrorzelle zeigen, dass Rechtsradikalismus weder unterschätzt noch verharmlost werden darf.

Die NPD und ihre Kameradschaften gehören verboten! Dass eine Partei, die das bestehende System beseitigen will und enge Verbindungen zu der Zwickauer-Terror-Zelle und ihren Mördern hatte, über die Parteienfinanzierung Geld vom Steuerzahler erhält, ist den Menschen nur schwer zu vermitteln. Die NPD ist nationalistisch, ausländerfeindlich und will die freiheitlich-demokratische Grundordnung aggressiv bekämpfen und lieber heute als morgen beseitigen.

Wo die demokratischen Rechte abgebaut werden, wird Platz gemacht für faschistische Abenteuer. Wohin uns das führen würde, das wissen wir, das braucht uns niemand mehr zu erzählen. Was im Rombergpark geschah, darf und wird sich nicht wiederholen. Nazis sind Schurken und Verbrecher, denen wir uns alle in den Weg stellen müssen! In Dortmund brauchen wir keine Nazis, weder im Stadtteil Dorstfeld, noch am 1. Mai, und schon gar nicht anlässlich des 1. September! Legen wir an den Gräbern der Ermordeten ein Bekenntnis ab zum Frieden und zu sozialer Gerechtigkeit! Wir schulden es den unschuldigen Opfern: Bekennen wir uns zu ihren Idealen von Menschenwürde und Freiheit!

Mit der Mahn- und Gedenkstätte Bittermark wurde in internationaler Zusammenarbeit eine würdige und bewegende Erinnerungsstätte geschaffen. Die Mahnung, die von hier ausgeht, hat nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. Haltet die Erinnerung an die hier ermordeten Männer und Frauen wach, damit sich solche Verbrechen niemals wiederholen! Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Frieden und Freiheit sind das Modell der Zukunft. Ich hoffe wir sind auf einem guten Weg.




Die Rede von Iris Bernert-Leushacke, Mitglied im Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee, auf dem Hauptfriedhof in Dortmund-Brackel

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, jung und etwas älter,
liebe internationale Gäste,
meine Damen und Herren!

Heute, am Karfreitag 2012, versammeln wir uns auf einem Friedhof, um derer zu gedenken, die den Faschismus nicht überleben konnten. Viele der Menschen, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben, waren Zwangsarbeiter.

Ich möchte besonders diesen Aspekt herausarbeiten: Was bedeutete es, Zwangsarbeit für die Nazis zu leisten? Zuerst einmal ist der Begriff Zwangsarbeit eine Verharmlosung dessen, was stattgefunden hat. Ein besserer Begriff wäre Sklavenarbeit! Denn die Bedingungen, unter denen die Menschen zur Arbeit gepresst und gezwungen wurden, waren unwürdig.

Aber diese Behandlung hatte System und war fein abgestimmt und konzipiert. Denn mit zunehmenden Kriegshandlungen, besonders aber nach dem Beginn des Zweifrontenkrieges, standen den Machthabern und Verwaltern kriegsgefangene sowjetische Soldaten und zivile Bewohner der okkupierten Gebiete in einer nicht vorstellbaren Größenordnung zur Verfügung. Ich sage bewusst „Verfügung“, denn die Nazis bedienten sich ihrer. Die riesigen Kriegsgefangenenlager waren ein erstes Reservoir, aus dem die Wirtschaft schöpfen konnte, die zivilen Bewohner ein zweites.

Wie jedoch kommt ein System dazu, ein solch grauenvolles Agieren reibungslos durchzuführen? Das ideologische Konstrukt der Nazis, Menschen anderer Religion und Kultur in bestimmte Kategorien einzusortieren, war durch die Verfolgung der Juden in Deutschland seit 1933 perfekt eingeübt worden. Politische Gegner waren ab dem ersten Tag eingekerkert, in KZ eingesperrt und zum Arbeiten gezwungen worden.

Diese Methode der Unterdrückung und Ausbeutung wurde mit zunehmendem Kriegsverlauf perfektioniert. Nicht nur die „Endlösung der Judenfrage“ wurde Anfang 1942 in der bekannten Wannsee-Konferenz eingeleitet, sondern auch die Vernichtung weiterer Bevölkerungsgruppen in allen besetzten Teilen Europas.

Lukrative Industrieanlagen neben Vernichtungslagern

Die Vernichtung nach ideologischen Gesichtspunkten stand im Vordergrund. Zuvor jedoch sollte der größtmögliche Profit aus den Sklaven gepresst werden. Aus diesem Grund wurden neben Vernichtungslagern lukrative Industrieanlagen installiert. Waren die zur Arbeit Gepressten mit ihren Kräften am Ende – das Vernichtungslager wartete nebenan. Zynischerweise wurden die Zwangsarbeiter auch noch in unterschiedliche Gruppen eingeteilt; die am geringsten geachtete und am schlechtesten bezahlte Gruppe war die der sogenannten „Ostarbeiter“ aus Polen und, am Ende der Nazi-Skala, die sowjetischen Kriegsgefangenen.

Auch dürfen wir niemals vergessen, die Perversion des ganzen Systems zu beleuchten: Die Zwangsarbeiter wurden als Wirtschaftsgut „gehandelt“, d.h. die Betriebe zahlten Vermittlungsprämien oder Leihprämien an die SS und die Wehrmacht. Ich möchte die Ausbeutung der Zwangsarbeiter an einem Beispiel näher darstellen und zitiere aus Die Zeche Adolf von Hansemann. Die Geschichte eines Bergwerks in Dortmund Mengede. Bearbeitet von Tilo Kramm und Thomas Mertens, Schriftenreihe des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe/Westfälisches Industriemuseum, Essen 1995, S. 106:

„So gering die Löhne der Ostarbeiter auch waren, die der sowjetischen Kriegsgefangenen waren noch schmaler. Es gab Umrechnungslisten, nach denen ihr Lohn mit rd. 75% eines deutschen Arbeiters berechnet wurde. Davon wurden je nach Höhe 55% bis 75% an das Stalag, gewissermaßen als „Leihgebühr“, abgeführt. Von dem Rest wurden noch die Unterbringungs- und Verpflegungskosten abgezogen. Dem Kriegsgefangenen blieben höchstens 0,50 RM am Tag, die er in Form von Lagergeld ausgezahlt bekam.“

An diesem Beispiel, einem von vielen, wird sehr deutlich, wie ausgeklügelt das Zwangsarbeiter-Ausbeutungs-System funktionierte. Die Zwangsarbeiter mussten Schwerstarbeit – hier z.B. im Bergbau – leisten, wurden aber nur geringfügig entlohnt. Gleichzeitig wurde an das „Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager“, im militärischen  Abkürzungsjargon „Stalag“ genannt, Leihgebühr entrichtet, d.h. also, die Zwangsarbeiter bezahlten die Leihgebühr für sich selbst durch ihren eigenen Lohn! Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde den Zwangsarbeitern von ihrem Lohn nochmals in Rechnung gestellt, die Versorgung mit Lebensmitteln jedoch so gering wie möglich gehalten.

Man kann schnell ausrechnen, wie die Profitmaximierung der Betriebe ausgesehen hat, die so geringe Lohnkosten zahlen mussten! Denn „Der Durchschnittspreis der Lohnarbeit ist das Minimum des Arbeitslohnes, d.h. die Summe der Lebensmittel, die notwendig sind, um den Arbeiter als Arbeiter am Leben zu erhalten“ (Karl Marx, Manifest). Den Vernichtungskrieg weiterzuführen und die Menschen aus besetzten Gebieten erst zur Arbeit zu zwingen, den Profit aus der Arbeit zu ziehen und letztlich die Menschen eben durch diese Arbeit zu vernichten, war Ideologie der Nazis.

60.000 Gefangene sollten in Dortmunder Bergwerken ertränkt werden

Einen letzten Aspekt, über den schon viel geforscht und veröffentlicht wurde, streife ich nur am Rande. Mit zunehmendem Kriegsverlauf und dem Vorrücken der alliierten Truppen in Ost und West wurden die Zwangsarbeiter in den Betrieben zu einer Bedrohung für die Nazi-Schergen. Die drohende Niederlage vor Augen, wurden weitere, ungeahnte Verbrechen geplant. Ich zitiere nochmals aus Die Zeche Adolf von Hansemann. Die Geschichte eines Bergwerks in Dortmund Mengede. Bearbeitet von Tilo Kramm und Thomas Mertens, Schriftenreihe des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe/Westfälisches Industriemuseum, Essen 1995, S. 106f.:

„Vor der Besetzung des linken Niederrheins durch alliierte Truppen wurden rd. 60.000 zusätzliche Fremdarbeiter und Kriegsgefangene ins Ruhrgebiet überführt. Sie sollten (…) weiter nach Osten gebracht werden. Die mitteldeutschen Gaue verweigerten jedoch ihre Übernahme; die Schließung des Ruhrkessels verschloß diesen Weg endgültig. (…) Gauleiter Hoffmann, Reichsverteidigungskommissar für den Gau Westfalen-Süd, sperrte die Versorgung aller Ausländer aus zivilen Verpflegungslagern. Aufgrund der Weisung Hitlers, den Feinden nur ‚verbrannte Erde‘ zu überlassen, und aus unterschwelliger Angst vor Rache- und Sabotageakten ordnete Hoffmann die ‚Unschädlichmachung‘ der Ausländer an. Am 26. März 1945 gab er während einer Besprechung (…) in Anwesenheit des Dortmunder Polizeipräsidenten Altner den Befehl, die Ausländer in Bergwerke zu bringen und durch Abstellen der Wasserhaltungen zu ertränken.“

Dieser perverse Plan wurde nicht mehr in die Tat umgesetzt. Andere Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer überlebten nicht. Sie wurden vernichtet – vernichtet durch Arbeit, ermordet in letzter Sekunde, wie wir heute Nachmittag noch hören werden.

Als Abschluss möchte ich ein Gedicht von Lotte Temming vortragen und einen Überlebenden zu Wort kommen lassen:

Misshandelt, geschlagen

Misshandelt, geschlagen, in Qual und Weh,
getreten, gequält und geschändet,
so seid ihr für eure, für unsre Idee
durch Mörderhände geendet.

Sie haben euch mit sadistischer Wut
gequält, misshandelt, geschlagen.
Ihr habt es mit heldischem Opfermut
für eure Idee ertragen.

Die Kerkerzellen hallten bei Nacht
von euren Schmerzensschreien.
Wir wussten, ihr wart in der Henker Macht,
und konnten euch nicht befreien.

Ihr habt gehungert, ihr habt gedarbt,
man hat euch alles geraubt.
Ihr habt bis zuletzt noch, als ihr starbt,
an unsre Idee geglaubt. 

Und diese Idee, das schwören wir euch,
für die euer Herzblut geflossen,
wird weiter getragen ins neue Reich
von jungen und tapferen Genossen. 

Die Fackel, die ihr mit heldischem Mut
getragen durch Tod und Nacht,
durch die ihr mit euerem eigenen Blut
den Brand der Empörung entfacht.

Die Fackel, die ihr mit mutiger Hand
durch Nacht und Tod getragen,
bis man euch hingemordet fand,
zerschunden und erschlagen.

Die Fackel, sie leuchtet durchs ganze Land!
Ihr seid nicht vergebens gefallen!
Die Fackel, entfallen der sterbenden Hand,
wird zur Verpflichtung uns allen.

Ich schließe mit einem Zitat des polnischen Zwangsarbeiters, Auschwitz-Überlebenden und Historikers Marian Turski, der am 18. März 2012 bei der Eröffnung der Ausstellung „Zwangsarbeit“ in Dortmund sagte:

„Wenn ihr nicht vergesst, werde ich schweigen können!“

Erneut stärkere Jugendbeteiligung bei Karfreitagsgedenken 2012

„Botschafter der Erinnerung“ und Tochter von Mehmet Kubasik sprechen in der Bittermark

Mit den „Botschaftern der Erinnerung“ gibt es bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung zum Karfreitag in der Bittermark erneut eine stärkere Beteiligung Jugendlicher. Mit Gamze Kubasik wird außerdem eine Angehörige der kürzlich bekannt gewordenen neofaschistischen Mordserie zur Dortmunder Bevölkerung sprechen.

Ankündigung auf Der Westen

Das Programm der Gedenkfeier in der Bittermark an Karfreitag, 6. April 2012

– 15.00 Uhr Posaunenchöre aus Dortmund
– 15.05 Uhr Anmoderation Klaus Lenser
– 15.10 Uhr Chorakademie Dortmund
– 15.15 Uhr Gang zu den Kränzen und Schweigeminute
– 15.20 Uhr Begrüßungsansprache Bürgermeisterin Birgit Jörder
– 15.30 Uhr Grußwort Ernst Söder
– 15.40 Uhr Redebeitrag Gamze Kubasik
– 15.45 Uhr Beitrag der „Botschafter der Erinnerung“: Der Weg der Erinnerungen
– 15.55 Uhr Chorakademie Dortmund
– 16.10 Uhr Beitrag der „Botschafter der Erinnerung“: Textcollage zum Thema Zwangsarbeit
– 16.15 Uhr „Moorsoldaten“ Chorakademie Dortmund, Posaunenchöre aus Dortmund
Die „Botschafter der Erinnerung“ verteilen zum Abschluss Blumen, die am Denkmal abgelegt werden können.

Heinrich-Czerkus-Lauf zum Karfreitagsgedenken 2012

Heinrich Czerkus, Platzwart von Borussia Dortmund, Widerstandskämpfer gegen Hitler, im April 1945 von den Nazis im Romberpark ermordet und verscharrt, gemeinsam mit 300 Zwangsarbeitern und anderen Nazigegnern in der Bittermark begraben.

Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Der Treffpunkt zum Heinrich-Czerkus-Lauf ist am Karfreitag, dem 6. April 2012, um 12 Uhr am Stadion Rote Erde. Die Wanderer starten um 13 Uhr, die Walker um 13.30 Uhr, die Jogger und Radler um 14 Uhr zum Denkmal in der Bittermark. Dort findet um 15 Uhr die Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Opfer der Karfreitagsmorde statt.

Veranstalter des Czerkus-Laufs sind die Naturfreunde Kreuzviertel, der BVB 09, das Fanprojekt Dortmund und der Heinrich-Czerkus-Fanclub. Der Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee unterstützt den Aufruf.