Rede von Ernst Söder vom 27. Juli 2019 in Dortmund-Hombruch

Oberbürgermeister Sierau hat in seiner Ansprache anl. der diesjährigen Karfreitagsveranstaltung in der Bittermark das Zitat von Bertolt Brecht verwendet, das da heißt „Der Mensch ist erst dann wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“

Liebe Freunde, verehrte Anwesende!

Wir erinnern am heutigen Samstagvormittag  – stellvertretend für viele andere –  erneut an vier Hombrucher Widerstandskämpfer, die für unzählige Frauen und Männer standen, die  während der NS-Zeit von den Nazi-Horden erniedrigt, gefoltert und am Ende ermordet worden sind: An Wilhelm Oberhaus, Hans Grüning, Fritz Husemann und Wilhelm Knöchel.

Wir haben sie nicht vergessen, obwohl wir ihnen nie persönlich begegnet sind.

Aber wir wissen von ihrem Mut und ihrem Tun gegen das faschistische Deutschland, das nur von Völkermord, Denunziation und Gestapo besessen war.

Bis auf Wilhelm Knöchel sind die Namen an dieser Gedenktafel hier an der Sparkasse, am früheren Standort des Hombrucher Amtshauses, verewigt. An Wilhelm Knöchel erinnern wir, weil er am gleichen Tage wie Hans Grüning mit dem Fallbeil hingerichtet worden ist und ebenfalls aktiven Widerstand gegen die NS-Diktatur geleistet hat.

Bereits vorher hatten die Nazis jüdische Männer, Frauen und Kinder von Dortmund in das Getto nach Riga deportiert. Dort warteten Hunger und Zwangsarbeit auf sie. Die meisten von ihnen haben die Deportation und den Aufenthalt im Ghetto nicht überlebt.

Die Nazis beherrschten das öffentliche Leben. Die Angst der Menschen vor Denunzianten ließ jegliche öffentliche Kritik verstummen. Das Verhältnis von Hausbewohnern, Freunden und Verwandten war geprägt vom Misstrauen und Einschüchterung.

Seinen Mund verbieten ließ sich nicht Wilhelm Oberhaus.

Oberhaus war Priester in der St.-Clemens-Gemeinde in Hombruch. In seinen Predigten setzte er sich für das Erziehungsrecht der Eltern ein, in denen er sagte. „Die Kinder, liebe Eltern, gehören euch nach Gott, erst dann dem Staat.“   Damit machte er sich zum Feind des Regimes und wurde von Gemeindemitgliedern bei der Gestapo denunziert.

Die Verurteilung wegen Vergehens gegen das Heimtücke-Gesetz durch das Dortmunder Sondergericht brachte ihm nicht nur fünf Monate Haft ein, sondern bedeutete für ihn auch das Ende seiner Tätigkeit in Hombruch. Er wurde versetzt nach Bockwitz, dort wurde er wegen eines weiteren Vorfalls verhaftet und in Schutzhaft genommen.

Am 10. Oktober 1941 wurde Wilhelm Oberhaus ins Konzentrationslager überführt. Seine Leiden im KZ-Lager Dachau dauerten vom Tage seiner Einlieferung am 10. Oktober 1941 bis zum 20. September 1942. Er starb an Hunger und nicht behandelten Phlegmonen am rechten Unterschenkel. Im Lagerkrematorium wurden seine sterblichen Überreste eingeäschert und seinem Vater in einer Urne zugeschickt.

Unter großer Anteilnahme wurden die Überreste des Verstorbenen am 24. Oktober 1942 auf dem Herforder Friedhof beigesetzt. Die Beerdigung glich einer Protestversammlung gegen das faschistische Unrecht.

Die Stadt Dortmund würdigte Wilhelm Oberhaus mit der Benennung einer Straße im Stadtteil Hombruch, die katholische Pfarrei St. Clemens in Hombruch benannte das im Jahre 1958 fertiggestellte Pfarrheim nach Wilhelm Oberhaus und in Herford wurde eine Katholische Grundschule 1987 in „Wilhelm Oberhaus Schule“ benannt.

Wir erinnern und gedenken in dieser Stunde an den jungen Hans Grüning

Er war Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes in Barop.

Als Hitler an die Macht kam, war er 16 Jahre alt. Er erlebte, dass sein Vater 1933 von der Gestapo verhaftet und als Staatenloser ausgewiesen wurde.

Grüning pflegte in den 1940er Jahren Kontakte zu sowjetischen Kriegsgefangenen und übernahm Kurierdienste nach Holland, um den Informationsfluss zwischen den Parteigremien sicherzustellen. Er wurde gefasst und von der Gestapo verhaftet. Hans Grüning wurde am 9. Juni 1944 wegen Verbreitung feindlicher Rundfunkhetze mittels Flugblätter und Aufforderung zur Arbeitssabotage vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 24. Juli 1944 in Brandenburg hingerichtet. Das geschah vier Tage nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler.

Ebenfalls am 24. Juli 1944 (ich erwähnte es bereits) haben die Nazis Wilhelm Knöchel im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet.

Aus zugänglichen Unterlagen entnehmen wir, dass er durch vorherige Folterungen nicht in der Lage war, zur Hinrichtungsstätte zu gehen und dass er auf einer Trage dorthin gebracht werden musste.

Der 1899 in Offenbach geborene Knöchel wächst in einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie auf. 1917 wird er Soldat und schwer verwundet. Zwei Jahre später tritt Knöchel der SPD bei und wechselt 1920 ins Ruhrgebiet. Lange Zeit hat er in Dortmund gewirkt und am Widerstands Kampf an Rhein und Ruhr teilgenommen.

Knöchel schloss sich dem Bergbauindustrieverband und der KPD an. In Dortmund-Brünninghausen übernimmt er Aufgaben als Kassierer und später als Vorsitzender. Unter seiner Leitung wurden von Amsterdam aus illegale Flugblätter an die Bergarbeiterschaft im Ruhrgebiet und im Saarland gerichtet. Im Januar 1943 wurde Knöchel verhaftet.

Und wir gedenken und erinnern heute an Fritz Husemann, der ebenfalls eine Zeitlang in Hombruch und in Witten seinen Wohnsitz hatte.

Fritz Husemann war Sozialdemokrat, Vorsitzender des Bergarbeiterverbandes Deutschland, Abgeordneter im Preußischen Landtag und bis 1933 Mitglied im deutschen Reichstag.

Husemann zählte seinerzeit zu den populärsten Gewerkschaftsvertretern des Ruhrgebiets und galt als einer der profiliertesten Sozialdemokraten der Weimarer Zeit.

Er wurde verfolgt und am 11. März 1933 durch die SA mit vielen anderen Bochumer Sozialdemokraten verhaftet und am 2. Mai 1933 nach Besetzung des Hauses des Bergarbeiterverbands in Bochum fristlos entlassen. Bis zum 3. Juli 1933 wurde er mehrfacht inhaftiert und durch die Polizei verhört. Obwohl ihm der amerikanische Bergarbeiterverband zur Emigration riet, lehnte er diese ab. Er hielt auch illegal Gewerkschaftsverbindungen aufrecht und vertrat (allerdings erfolglos) in Prozessen entlassene Angestellte des Bergarbeiterverbands.

Am 18. März 1935 verklagte er die Deutsche Arbeitsfront auf Entschädigungszahlungen. Daraufhin wurde Fritz Husemann am gleichen Tag erneut im Polizeigefängnis in Bochum inhaftiert und am 13. April 1935 in das KZ Esterwegen überführt.

Bereits einen Tag nach seiner Einlieferung schoss ihm die KZ-Mannschaft bei einem angeblichen Fluchtversuch in den Bauch. Er starb am darauffolgenden Tag an einer Bauchfellentzündung im Krankenhaus in Sögel.

Die Einäscherungsfeier in Dortmund und die Beisetzung in Bochum Ende April 1935, an der über eintausend Personen teilnahmen, waren beeindruckende Kundgebungen für die persönliche Popularität Husemanns, aber auch für den Zusammenhalt der freigewerkschaftlichen Bergarbeiterbewegung.

Diese Männer – verehrte Anwesende haben – so wie viele Tausende andere auch – Mut und Haltung bewiesen. Sie haben unseren Respekt verdient und sie sollten uns Vorbild sein. Menschen wie sie sind der Maßstab, an den wir uns messen lassen müssen, wenn unsere Haltung gefragt ist.

Unsere Aufgabe ist es, Ereignisse und Verbrechen, wie sie sich von 1933 bis 1945 zugetragen haben, mit allen uns zugänglichen Mitteln, zu verhindern.

Wir müssen uns klar aufstellen gegen die rechtsextremen Parteien und Organisationen in der Tradition der Nationalsozialisten.

Und wir müssen uns auch deutlich abgrenzen von völkisch nationalen Anbiederungen einer AfD. Möge die Geschichte uns dazu verpflichten.

Wehret den Anfängen…. auch jetzt wieder.

Unsere Demokratie ist zwar stabil, sie ist aber auch schnell durch Neonazis und rechte Populisten in Gefahr.

Die Menschen müssen endlich damit aufhören, die geistigen und mittlerweile auch praktischen Brandstifter in unserer Republik als „Protestwähler“ oder „Mitläufer“ zu verharmlosen.

Es sind Demokratie- und Menschenfeinde. In ihren Köpfen ist nur noch Hass und Tumbheit. Sie haben sich in ihrer Parallelgesellschaft so radikalisiert, dass ihnen mittlerweile nur noch mit juristischen Mitteln beizukommen ist.

Und wer angesichts des Schulterschlusses rechtsradikaler Kräfte noch von „berechtigtem Bürger Protest“ spricht, wer immer noch die AfD unterstützt, um „denen da oben eines auszuwischen“, der muss wissen, was er tut. Der öffnet alten und neuen Nazis die Türen.

Es fing nicht mit Gaskammern an. Es fing an mit einer Politik, die von WIR gegen Die sprach. Es fing an mit Intoleranz und Hassreden. Es fing an mit der Aberkennung von Grundrechten. Es fing an mit brennenden Häusern. Es fing an mit Menschen, die einfach wegschauten.

Wehret den Anfängen, jetzt – morgen und in den Zeiten danach.

Wir wollen keinen Faschismus mehr. Faschismus ist kein Glaubensbekenntnis, sondern ein Verbrechen.

 

 

Stolpersteine für Emmi und Gustav Eisenstein

Wenn das Gedenken ein Gesicht bekommt

Datum: Montag, 08.07.2019, 14.00 und 19.00 Uhr
Ort: siehe Beschreibung
Preis: kostenlos

Am Montag, den 8. Juli 2019, werden um 14:00 Uhr in der Harkortstraße 73 in Dortmund-Hombruch Stolpersteine für Emmi und Gustav Eisenstein verlegt.Das Ehepaar hatte hier gelebt und ein Sportartikelgeschäft betrieben. Nachdem Gustav bereits im Anschluss an die Reichspogromnacht im November 1938 in der Steinwache in Haft gewesen war, wurden die beiden schließlich am 27. Januar 1942 aus Dortmund nach Riga deportiert. Sie gelten seitdem als verschollen und wurden mit Wirkung vom 8. Mai 1945 für tot erklärt. Wie ein Wunder erscheint es daher, was die Nachfahren von Emmy und Gustav Eisenstein erleben durften. Durch eine glückliche Fügung sind Filmsequenzen von 1938 erhalten geblieben, die über einen der letzten Kindertransporte nach Großbritannien und in den 1950er Jahren in die USA gelangten. Diese zeigen vor allem Privates, aber auch die letzten bewegten Bilder der 1938 abgerissenen Dortmunder Synagoge. Sie sind ein bedeutendes historisches Dokument mit einer tragischen Wendung: Fast alle Personen im Film sind von Dortmund aus deportiert und ermordet worden.Zur Stolpersteinverlegung reisen rund 15 Enkel, Urenkel und Ururenkel aus Israel, Bayern und dem Kölner Raum an. Emmy und Gustav Eisenstein haben 46 heute lebende, direkte Nachfahren.Zwei von ihnen, Ruth Eisenstein und Jan F. Turner, werden am gleichen Tag um 19:00 Uhr in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache ihre Familiengeschichte erzählen und das Filmmaterial von 1938 präsentieren. Dr. Rolf Fischer wird zu Anfang kurz in den lokalen Verfolgungskontext einführen.

Achtung! Unterschiedliche Veranstaltungsorte

14:00 Uhr, Stolpersteinverlegung für Emmi und Gustav Eisenstein in der

Harkortstraße 73 in Dortmund-Hombruch

19:00 Uhr, Familien- und Verfolgungsgeschichte der Eisensteins mit

Filmpräsentation in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Steinstraße 50