Bis zu 3000 Dortmunderinnen und Dortmunder gedachten am Karfreitag 2015 der 300 Antifaschisten und Zwangsarbeiter, die in der letzten Phase des Krieges in Dortmund von den Faschisten ermordet worden sind. Allein der Czerkus-Lauf vom Stadion zur Bittermark soll in diesem Jahr bis zu 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehabt haben.
Wir verweisen auf die Berichterstattung auf
und
Die Rede von Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee
(Anrede)
In der Rückschau der vor 70 Jahren in Dortmund verübten Verbrechen der Nationalsozialisten möchte ich meine Ausführungen mit einem Gedicht einleiten, das die in Dortmund einst lebende und wirkende jüdische Schriftstellerin Lotte Temming im Jahre 1950, in Erinnerung an die Karfreitagsmorde, unter dem Titel „Unseren Toten zum Gedächtnis“ geschrieben hat:
Misshandelt, geschlagen, in Qual und Weh,
getreten, gequält und geschändet,
so seid ihr für eure, für unsre Idee
durch Mörderhand geendet.
Sie haben euch mit sadistischer Wut
gequält, misshandelt, geschlagen.
Ihr habt es mit heldischem Opfermut
für eure Idee ertragen.
Die Kerkerzellen hallten bei Nacht
von euren Schmerzensschreien.
Wir wussten, ihr wart in der Henker Macht,
und konnten euch nicht befreien.
Ihr habt gehungert, ihr habt gedarbt,
man hat euch alles geraubt.
Ihr habt bis zuletzt noch, als ihr starbt,
an unsre Idee geglaubt.
Und diese Idee, das schwören wir euch,
für die euer Herzblut geflossen,
wird weiter getragen ins neue Reich
von jungen und tapferen Genossen.
Die Fackel, die ihr mit heldischem Mut
getragen durch Tod und Nacht,
durch die ihr mit eurem eigenen Blut
den Brand der Empörung entfacht.
Die Fackel, die ihr mit mutiger Hand
durch Nacht und Tod getragen,
bis man euch hingemordet fand,
zerschunden und erschlagen.
Die Fackel, sie leuchtet durchs ganze Land!
Ihr seid nicht vergebens gefallen!
Die Fackel, entfallen der sterbenden Hand,
wird zur Verpflichtung uns allen.
Nicht zuletzt sagen uns diese Verse, mit welcher Brutalität die Menschen von der Gestapo vor 70 Jahren misshandelt und ermordet worden sind. Darum ist es notwendig, das dunkelste Kapitel unserer Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Künftigen Generationen müssen wir immer wieder vor Augen führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die Menschenwürde in Deutschland mit Füßen trat und die Grundprinzipien mitmenschlichen Umgangs missachtete – und einem von vielen bejubelten Führer und Diktator Allwissenheit und Allmacht zubilligte. Einem Führer, der von Größenwahn, Völkermord, Rassenhetze, Vernichtung und Verbrechen gegen das Völkerrecht besessen war.
Mit der Mahn- und Gedenkstätte hier in der Dortmunder Bittermark wurde in internationaler Zusammenarbeit eine würdige und die Menschen bewegende Erinnerungsstätte geschaffen. Die Mahnung, die von hier ausgeht, soll uns die Kraft geben, alles, aber auch alles dafür zu tun, dass sich derartige Verbrechen niemals wiederholen, wie sie sich hier in den Wäldern der Bittermark und anderswo in Europa ereignet haben.
„Nie wieder Faschismus!“, meine Damen und Herren. Und da gibt es auch kein Pardon. Faschismus ist keine Gesinnung und auch kein Glaubensbekenntnis. Faschismus ist eine als Ideologie heruntergebrochene Form des Verbrechens. Und wer immer so tut, als ob man das verniedlichen könnte, dem sage ich: „Hört auf damit!“
Leider sind rechte Gesinnungen noch lange nicht Geschichte. Die Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien in Europa und die Demonstrationen von PEGIDA und anderer nationalistisch gesonnener Gruppierungen zeigen, dass Feindseligkeit und Ausgrenzung immer noch tief in der Mitte unserer Gesellschaft verankert sind.
Dem müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln entgegentreten. Denn wir stehen für eine demokratische und tolerante Welt, in der Rassismus, Fremdenhass und Vorurteile keinen Platz haben.
Inzwischen erleben wir es allerdings anders, tagtäglich in unserer Stadt: Woche für Woche zündet der braune Mob eine neue Eskalations-Stufe seiner Naziprovokationen. Was sich zum Beispiel in Dortmund in den vergangenen Monaten abgespielt hat, ist eine unerträgliche Kampagne einer Clique von einigen Dutzend Nazis. Ihnen gelingt es, Dortmund Woche für Woche bundesweit in den braunen Dreck zu ziehen. Und der Staat sieht hilflos zu. Jedenfalls ist das der Eindruck, der unter den Antifaschisten entstanden ist.
Die Antworten auf diese Erscheinungen sind relativ klar: Verbot der neofaschistischen Kameradschaften, Verbot der NPD, Verbot der Partei „Die Rechte“ und ein staatliches Vorgehen gegen den rechten Terror – und nicht sein Decken durch Verfassungsschutzorgane. Ich weiß sehr wohl, dass damit die Ausbreitung des neonazistischen und antisemitischen Gedankenguts allein nicht gelöst ist.
Aber: Wir wollen und können nicht akzeptieren, dass Rassenhetze und Faschismus-Verherrlichung in unserem Land wieder um sich greifen. Neofaschistische Umtriebe, Überfälle und Bedrohungen, wie sie sich in letzter Zeit zugetragen haben, können nicht verharmlost werden.
Und es ist an der Zeit, dass auch einmal die Justiz beginnt, ihr Verhältnis zu Freiheit und Demokratie gemäß dem Grundgesetz auch geistig zu ordnen. Es ist ein Unding, unter dem Recht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit aus juristischer Sicht zu erlauben, jede rechte Truppe könne sich zusammenrotten und menschenverachtende Parolen von sich geben.
Und es ist ein Unding, dass man schlicht und ergreifend so tut, als ob jede rechtsnationale Meinung gleichwertig einer freiheitlichen demokratischen wäre! In einer Demokratie, die ja auch die Lehren aus dem Faschismus ziehen wollte, muss man sagen: Es gibt Anfänge der Verbreitung faschistischer Gedankenwelten, die man schlicht und einfach unter Strafe stellen und verhindern muss! Auf gar keinen Fall darf man immer wieder die Polizei dazu bringen, dass sie so etwas auch noch beschützen muss!
Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus ist nach 1945 eine Generation herangewachsen, die das Geschehen in der Zeit des Nazi-Terrors nicht aus eigenem Erleben kennt. Sie trägt jedoch die Verantwortung dafür, was künftig in unserem Land geschieht.
Mut machen mir die jungen BotschafterInnen der Erinnerung, hier in Dortmund, die auch in diesem Jahr wieder die Gedenkfeier mitgestalten. Und ich kann dem nur zustimmen, was der Herr Oberbürgermeister in seiner Begrüßung zum Ausdruck brachte: „Sie sind unsere Brücke in die Zukunft.“ Auch von mir, von uns, Respekt für eure Aktivitäten und herzlichen Dank für das inzwischen seit vielen Jahren bestehende, erfolgreiche Engagement.
Folgen wir der Aussage des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der in seiner bekannten Rede am 8. Mai 1985 sagte: „Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebensnotwendig ist, die Erinnerung wachzuhalten.
Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Und weiter: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“
Niemals vergessen, was vor siebzig Jahren geschah! Erinnern und Gedenken! Nie wieder Krieg, das soll unsere Losung sein! Vor uns liegt ein langer Weg. Ich hoffe und wünsche mir, ein Weg des Friedens, der Toleranz und der freundschaftlichen Verständigung unter den Menschen. Ich verneige mich vor den Opfern und danke ihnen meine Damen und Herren, für ihre Aufmerksamkeit.
Die Rede des Fördervereins Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee auf der Gedenkkundgebung im Südpark, Lünen, am 3. April 2015
Liebe Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Katrin Rieckermann. Ich bin Mitglied im Förderverein Steinwache in Dortmund und ich möchte mich für die Einladung, hier zu sprechen, herzlich bedanken.
Zunächst einmal möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass heute so viele Menschen gekommen sind, um sich an die Ereignisse vor 70 Jahren, an das, was in den letzten Kriegstagen 1945 geschehen ist, zu erinnern.
In Lünen gab es vielfältigen Widerstand gegen den Faschismus. Mitglieder der SPD und der KPD, der Kirchen sowie viele Unorganisierte zeigten ihre Gegnerschaft zum Hitlerregime. Nicht wenige bezahlten ihre Überzeugung mit Arbeitslosigkeit, Folter, der Haft in Konzentrationslagern oder dem Tod.
Was aber geschah kurz vor Kriegsende 1945?
Vom 8. März bis zum 12. April 1945 fanden im Rombergpark und in der Bittermark in Dortmund Massenerschießungen statt, bei denen fast 300 Menschen verschiedenster Nationalitäten den Tod fanden.
Unter ihnen waren auch sechs Lüner Kommunisten, von denen fünf am 30. März, also dem Karfreitag 1945, verhaftet und kurz darauf von der Gestapo und SS erschossen wurden. Johann Berg, Jakob Bink, August Dombrowski, Bernhard Höltmann und Johann König fanden sich unter den Ermordeten. Josef Kriska wurde am Ostersonntag 1945, dem 1. April, nach schweren Misshandlungen im Gestapo-Gefängnis Dortmund-Hörde erschossen.
Heutzutage fällt es schwer, sich vorzustellen, was es bedeutete, sich konsequent gegen die Nazis zu stellen und seiner politischen Überzeugung treu zu bleiben. Ich möchte hier stellvertretend für alle Ermordeten vorlesen, was Fredy Niklowitz vom Stadtarchiv über Jakob Bink schreibt: Der Maurer Jakob Bink, geboren am 5. Juni 1886 in Roßrechtenbach bei Wetzlar, war mit Hedwig Köchling verheiratet hatte fünf Kinder. Seit 1919 war er Mitglied und Funktionär der KPD. 1923 und 1927 wurde er zum Stadtverordneten gewählt.
Am 23. März 1933 wurde Jakob Bink festgenommen und in das Polizeigefängnis Lünen eingeliefert. Anschließend saß er im Gerichtsgefängnis Lünen und in der Strafanstalt Werl ein, aus der man ihn am 17. Juli 1933 entließ. Danach war Jakob Bink erneut vom 7. Dezember 1935 bis zum 16. Juni 1938 sowie vom 25. Juni 1938 bis zum 19. April 1939 in verschiedenen Polizei-, Gerichtsgefängnissen und Konzentrationslagern – darunter Esterwegen, Sachsenhausen und Buchenwald – in Haft. Vom Sondergericht Dortmund war er am 29. Juli 1936 wegen „hetzerischer Äußerungen“ zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden.
In den Zwischenzeiten hatte Jakob Bink sich einmal täglich, manchmal sogar zweimal täglich, bei der Polizei melden müssen. Auch gehörte er noch bis 1939 zu den Arbeitslosen in Lünen. Selbstbewusst soll er keinen Hehl aus seiner antinationalsozialistischen Gesinnung gemacht haben. So soll er zu denen gehört haben, die „über den Bock gingen“, das heißt, dass die SS gegen ihn die Prügelstrafe anordnete, bei der Jakob Bink die Peitschenschläge (meist 25) mitzählen musste. Von Zeitzeugen wurde er als der „Eiserne Jakob“ bezeichnet. Am 30. März 1945 wurde Jakob Bink von der Gestapo festgenommen, mit Wirkung vom 20. April 1945 für tot erklärt. Er wurde 49 Jahre alt.
Warum kam es zu diesen Verbrechen gegen Nazigegner und auch gegen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, angesichts des unmittelbar bevorstehenden Endes des Faschismus? Es lassen sich unterschiedliche Erklärungen finden. Zum einen versuchten die Nazis sicherlich, sich angesichts der zusammenbrechenden Kriegsfronten an den politischen Gegnern, die die Niederlage herbeisehnten, zu rächen.
Auch liegt die Vermutung nahe, dass die Faschisten unliebsame Zeugen ihrer Verbrechen noch im letzten Moment beseitigen wollten. Nicht zuletzt wird angenommen, dass diejenigen, die eine andere, eine bessere Welt aufbauen wollten, mit in den Untergang genommen und an der Verwirklichung ihrer politischen Überzeugung gehindert werden sollten.
Ist den Faschisten dies gelungen? Wir stehen hier gemeinsam und gedenken der Opfer – auch 70 Jahre nach den Verbrechen. In Lünen gibt es ein starkes Engagement gegen Rassismus und Neonazis. Der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus wurde ins Leben gerufen und bietet verschiedene Aktivitäten und Programme gegen Rechts an. Dies sind positive Zeichen.
Andererseits wissen wir, dass sich eine radikalisierte und gewalttätige rechte Szene in Dortmund etabliert und verfestigt hat. Dass es sich hier nicht um eine Ausdrucksform politischer Meinungsfreiheit handelt, sondern um eine braune Mörderbande, zeigt die Tatsache, dass in den vergangenen fünfzehn Jahren in Dortmund fünf Menschen von Neonazis ermordet wurden. Hinzu kommen Denunziationen, Verunglimpfungen, Einschüchterungen, Körperverletzungen und Morddrohungen, die zum Alltag geworden sind.
Neonazis aus Lünen, die mit ihren Gesinnungs-T-Shirts, Abzeichen, Tattoos und Aufklebern in das Stadtbild hineinwirken, unterstützen ihre Nazifreunde in Dortmund tatkräftig bei Gewaltakten und Aufmärschen. Ihre Losungen sind: „Heimreise statt Einreise“ oder „Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg“.
Hier stellt sich die Frage, was wir den am Karfreitag 1945 Gemordeten schuldig sind. Die Aufklärung über alte und neue Nazis gehört dazu. Dem braunen Mob darf nicht die Straße überlassen werden. Nicht am vergangenen Wochenende in Dortmund-Huckarde und nicht am 1. Mai in Dortmund, an dem die Neonazis zu einem „Nationalen Tag der Arbeit“ aufrufen.
Wir verlangen die konsequente Bestrafung der rechten Straftäter in Dortmund. Ihre Organisationen müssen verboten werden, ob es sich nun um rechte Kameradschaften oder die neue Partei „die Rechte“ handelt. Die Losung der damaligen Nazigegner: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ ist heute, 70 später, aktueller denn je.
In Buchenwald, dem KZ, in dem auch Jakob Bink zeitweise inhaftiert war, schworen die überlebenden Häftlinge nach der Befreiung: „ Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Dies sind bleibende, dringliche Aufgaben.
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