Rede von Ernst Söder Karfreitag 2018

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Jörder

liebe Gäste und Freunde aus dem In- und Ausland

verehrte Madame Godard

liebe Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung

meine Damen und Herren!

Wir haben uns am  heutigen Karfreitag  erneut an diesem Ort der Mahnung zusammengefunden, um  an die Verbrechen  zu erinnern, die  von Mördern der faschistischen Staatsmacht  1945 in Dortmund begangen worden sind.

Diese Tage im März und April 1945 gehören wohl zu den schwärzesten in der Geschichte unserer Stadt.

In dieser Zeit, an dem sich schon das Ende des Zweiten Weltkrieges und damit die Niederlage der nationalsozialistischen Machthaber abzeichnete, kam es in Dortmund zu den Massakern an nahezu 300 Gefangenen, Zwangsarbeitern und Widerstandskämpfern aus sieben Ländern. Hier in der Bittermark und im Rombergpark.

Aus Überzeugung kämpften diese Menschen gegen die faschistische Diktatur und deren Unmenschlichkeit. Sie waren bereit, sich aufzulehnen und den Mund aufzutun, weil sie nicht schweigen und zusehen wollten, wie in Deutschland Zivilisation und Humanität von den braunen Machthabern in den Dreck gezogen werden.

Mit der Niederlegung von Blumen und Kränzen am heutigen Karfreitag  geben wir unserer Trauer einen äußerlichen und würdigen  Rahmen. Es ist ein Zeichen des Andenkens, das wir den Ermordeten damit zum Ausdruck bringen können.

Und wer waren die Täter dieses Verbrechens am Ende des Krieges 1945?

Erst  sieben Jahre nach den Gräueltaten fand vor dem Dortmunder Schwurgericht ein Prozess gegen die Täter statt.  Die Namen und die Herkunft der Mörder dieses unsagbaren Verbrechens sind nicht unbekannt geblieben, doch nur sehr  wenige SS- und Gestapoleute wurden zur Rechenschaft gezogen. Die Zurückhaltung in der Verfolgung von NS-Tätern führte im Jahre 1952  zu einer bemerkenswerten Milde für die Verurteilten.

Manche erhielten erneut Positionen in der Staats- und Justizverwaltung und arbeiteten wieder bei der Polizei – und aufgrund ihrer Verdienste wurden sie   in höhere Dienstgrade befördert.

Schwerwiegende Versäumnisse bei der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen waren das Ergebnis von bewusst herbeigeführten politischen und juristischen Entscheidungen in den 50er und 60er Jahren, die auch Einfluss auf den Rombergpark-Prozess hatten.

Die Verhandlungen wurden von Richtern vorgenommen, die bereits während der Nazidiktatur  als Richter tätig waren und  erneut in den Staatsdienst übernommen worden sind. Eine Entnazifizierung hatte nicht stattgefunden. Somit urteilten Nazis über Nazis.

Wir wissen:

Entnazifizierungen  waren in jenen Tagen höchst unpopulär und wurden schon bald eingestellt, nachdem die in ihren Ämtern Verbliebenen,  in Folge gesetzlicher Bestimmungen, gleichsam amnestiert  und begnadigt worden waren.In Schlüsselfunktionen in der Justiz, Verwaltung und in der Politik fanden sich ehemalige Nazis wieder.

Bekannt ist, dass nach 1959 etwa die Hälfte der Leitenden Beamten im Bundes- bzw. in den Landeskriminalämtern ehemalige SS-Kreaturen und Gestapoleute von Polizeilichen Sondereinheiten tätig gewesen sind, die an Massenmorden beteiligt waren.

Der Schwur von Buchenwald, dem wir uns verpflichtet fühlen, besagt in seiner Kernaussage „ … den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht, und dem Ziel zu folgen,  „eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen“. Es gibt aber  nicht nur Schuldige, sondern auch schon wieder Neue. Daher wenden wir uns gegen neues Unheil.

Ein Gedenktag – wie der  heutige hier in der Bittermark – macht allerdings nur Sinn, wenn wir aus der Vergangenheit gelernt haben und neues Unrecht nicht hinnehmen.

Es genügt  nicht allein, die Erinnerung wach zu halten. Solche Tage wie heute sind insbesondere dafür da, zu mahnen und aktiv zu sein.

Erinnerung soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung von Mord und Massenmord entgegenwirken.

Sich den bedrückendsten Wahrheiten unserer Geschichte zu stellen, ist jedoch unverzichtbar. Dazu verpflichten uns die Opfer, ihre Angehörigen und Nachkommen.

Wir wissen aber auch um die erneuten Gefahren von Nationalismus, Antisemitismus  und Rassenhass  bei uns in Deutschland und anderswo. Tag für Tag. Und wir wissen, wie sehr politische Wachsamkeit gefordert ist. Jede Form von Antisemitismus und Rassismus müssen wir uns entschieden entgegenstellen – überall und jeden Tag.

In Europa erfahren wir schon seit  geraumer Zeit die Ernte des ausgesäten Windes. Aus diesem lauen Lüftchen ist ein böser Sturm geworden. Das ist nicht der wünschenswerte, notwendige und frische Wind.  Das ist der stinkende Wind aus der  Kloake der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Ausgrenzung Andersdenkender, anders Gläubiger, anders Aussehender, ist allgegenwärtig. Die Repression gegen die freie Presse feiert in vielen Ländern fröhlichen Urstand. Es ist vielerorts eine Atmosphäre voller Hass und Gewalt entstanden. Das war und das ist der Nährboden des Faschismus.

Doch wir wollen keinen Faschismus mehr. Und da gibt es auch kein Pardon. Faschismus ist keine Ideologie. Faschismus ist ein Verbrechen, für das es niemals eine Entschuldigung gibt. Damals wie heute: Faschisten sind Verbrecher, denen wir uns in den Weg stellen müssen.

Haben wir nach 1945 nicht allesamt gesagt „Wehret den Anfängen?“. Diese Erkenntnis hat längst ihre Wirkung verloren.  Wir sind schon wieder mittendrin: Rechtsradikalismus und Rassenhetze gehören zu den täglichen Erscheinungen und werden von rechts ausgerichteten Parteien auch noch geschürt.

Eine Dortmunder Zeitung schreibt Anfang März dieses Jahres, dass zehn rechtsradikale Taten pro Tag allein  in Nordrhein-Westfalen verübt werden. Das heißt: Wir müssen wachsam sein, „denn der Schoß ist furchtbar noch, aus dem dies kroch“, wie Bert Brecht es einst gesagt hat und heute von höchster Aktualität ist.

Immer wieder stellen wir uns die Frage, wieso die Nazis in unserer Republik nahezu unbehelligt ihr Unwesen treiben dürfen. Geschützt von den Gerichten verbreiten sie ihren Hass unter unserer Jugend und finden dort einen guten Nährboden.

Wie aber sollen wir unserer Jugend begreiflich machen, dass das, was die Nazis verbreiten, verbrecherisch ist, wenn wir diese gleichzeitig verfassungsrechtlich schützen und darüber hinaus auch noch finanziell unterstützen? Ein solcher  Widerspruch ist wohl kaum zu vermitteln.

Jahr für Jahr führen  uns die Neonazis immer wieder mit Aufmärschen ihre menschenverachtende Weltanschauung vor und niemand scheint im Stande, diesem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu bereiten. Sicher, unser Recht auf freier  Meinungsäußerung ist ein hohes Gut. Dieses Gut ist so  hoch anzusetzen, dass wir auch mit Meinungen leben müssen, die jenseits  vom guten Geschmack,  allgemeiner Moral- und Wertvorstellung liegen.

Doch das, was die Nazis verbreiten,  ist mehr als nur ein schlechter Geschmack. Sie vergiften unsere Gesellschaft, verbreiten Hass und sind gewaltbereit.

Zeigen wir den Nazis am 14. April anlässlich ihrer europaweiten Demonstration in Dortmund, dass wir ein offenes, solidarisches Europa und keine nationalistische Beschränktheit wollen.

Unsere Geschichte verpflichtet uns zum Handeln –  gegen rechtsextremes Denken, gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz.

Wir tragen Verantwortung für die Gestaltung einer demokratischen und freien sozialen Gesellschaft.

Und künftigen Generationen müssen wir immer wieder vor Augen führen, wo es schon einmal geendet hat, als man die Menschenwürde in Deutschland mit Füßen trat,  die

Grundprinzipien mitmenschlichen Umganges missachtete – und einem von vielen bejubelten Führer und Diktator – Allwissenheit und Allmacht zubilligte. Einem Führer, der von Größenwahn, Völkermord, Rassenhetze, Vernichtung und Verbrechen gegen das Völkerrecht besessen war.

Bemerkenswert und lobenswert sind die Aktivitäten  der  jungen BotschafterInnen der Erinnerung, die seit vielen Jahren die Gedenkfeiern in der Bittermark vorbereiten,  mitgestalten und moderieren und seit langem sich das Ziel gesetzt haben, den Opfern ein Gesicht zu geben.

Heute werden sie unterstützt von den „Botschafterinnen und Botschaftern“ aus Paris,

die seit mehreren Tagen in Dortmund sind und den Verlauf des Programms mitgestalten.

Liebe Freunde: Respekt für Eure Aktivitäten und herzlichen Dank im Namen des Internationalen Rombergpark-Komitees für euren vorbildlichen und ermutigenden Einsatz und für die Gestaltung der heutigen Gedenkveranstaltung.

Legen wir an den Gräbern der Ermordeten ein Bekenntnis ab zum Frieden,  zu Toleranz und Gerechtigkeit. Wir schulden es den unschuldigen Opfern und unserer Nachwelt.

Bekennen wir uns zu ihren Idealen von Menschenwürde und Freiheit, für die sie ihr Leben gaben; denn jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Erinnern,  Gedenken, Mahnen – aber auch handeln – das ist unsere Losung.

Ja, wir wollen endlich Frieden, endlich eine Gesellschaft ohne Naziideologien und Nazihorden. Dafür müssen wir kämpfen und wachsam sein.

Karfreitag 2018

In diesem Jahr wurde die Gedenkveranstaltung durch französische und deutsche Botschafter*innen der Erinnerung gestaltet. Die Rede von Ernst Söder finden Sie oben, einen Artikel vom Nordstadtblogger finden Sie hier.