Die Reden 2016

Die Rede von Ernst Söder, Vorsitzender des Fördervereins Gedenktstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee

Die Mahnung an der Wand
Bettina Wegener

Jedes Land schwört seine Söhne auf das Feld der Ehre ein
mit Gewehr und Helm und stolzer Uniform.
Und im Wortschatz des Soldaten fehlt das lautgesprochene „Nein“,
denn dieses Wort entspricht nicht kämpferischer Norm.

Einer starb für Hitler und fürs Deutsche Vaterland,
und Amerika ließ sterben in Vietnam.

Der den Namen Stalin hauchte, blieb bis heute unbekannt,
alle starben für irgendein Programm.

Einer focht im Namen Christi, einer kämpft für Mohammed,
und Parole wird Ersatz für den Verstand.
Einer tötet für Ideen, die er selber nicht versteht!
Ist er blind? Sieht er die Schrift nicht an der Wand?

An dem Denkmal für die Helden hat kein Toter je geweint,
ein gefallener Soldat kennt keinen Sieg.
Ob sie schwarz, gelb, rot, ob Weiße, hat sie eines doch geeint:
Jeder starb für seine Mächtigen im Krieg.

Ein Soldat ist auch ein Vater, jemands Sohn und jemands Mann,
liebt die Mutter, liebt die Frau und liebt sein Kind.
Es ist Wahnsinn, dass ein Liebender auch Menschen töten kann,
die genau wie er selber liebend sind.

Wenn Soldaten sich verbrüdern durch ein tausendfaches „Nein“,
und sie reichen übern Graben sich die Hand,
kann das Leben auf der Erde endlich menschenfreundlich sein,
und es braucht nicht mehr die Mahnung an der Wand.

Einundsiebzig Jahre sind es her. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Alliierte  Truppen haben bereits das Ruhrgebiet eingekesselt und stehen im April 1945 am Stadtrand von Dortmund. Doch die Geheime Staatspolizei und die SS morden weiter. Sie begehen den größten Massenmord in der Geschichte der Stadt Dortmund, hier in den Wäldern  der Bittermark, im Rombergpark und am Bahngelände in Dortmund-Hörde.

Am heutigen Karfreitag erinnern wir erneut an dieses schreckliche Verbrechen, das von der Justiz in der Nachkriegszeit nur mangelhaft und stümperhaft aufgearbeitet wurde. Das Versagen der deutschen Justiz, die es zugelassen hat, dass die Nazi-Mörder geschont wurden, ist ein dunkles Kapitel, das auch den Rombergparkprozess im Jahre 1952 bestimmt hat.

Zahlreiche Widerstandskämpfer, Kriegsgefangene und ausländische  Zwangsarbeiter, die mit der Ideologie des Nationalsozialismus nichts zu tun haben und die Bevölkerung aufklären wollten, hatte die Gestapo bereits in den Märztagen verhaftet und in die Gestapozentrale nach Hörde gebracht. Von dort wurden sie, mit Stacheldraht und Bindedraht gefesselt, zu den Todesstätten verschleppt und von den Gestapoverbrechern durch Genickschuss hingerichtet.

Ihr Lebenswille war, die Freiheitsrechte zu verteidigen. Sie kämpften gegen die faschistische Diktatur und deren Unmenschlichkeit und waren bereit, sich aufzulehnen und den Mund aufzumachen, weil sie nicht schweigen und  zusehen wollten, wie in Deutschland Zivilisation und Humanität von den braunen Machthabern in den Dreck gezogen werden.

Nazigegner aus sieben europäischen Ländern, die  in der Karwoche 1945 auf heimtückische Weise ermordet worden sind, wurden Opfer dieser  letzten Terroraktion der Dortmunder Gestapo. Auf ihre Weise haben diese Menschen mit ihrem Mut und auch mit ihrem Tod Zeugnis gegeben von der großen und bleibenden, unzerstörbaren Würde des Menschen.

Männer und Frauen wie sie sind es gewesen, die es überhaupt erst möglich machten, auch nach Auschwitz und der mörderischen Erbarmungslosigkeit des faschistischen Systems noch Hoffnung auf den Menschen zu haben.

Das Vermächtnis der Toten und Überlebenden, die gegen das mörderische System ankämpften, mahnt uns: Nie wieder darf von deutschem Boden ein Krieg ausgehen. Niemals wieder wollen wir eine Diktatur und einen Führerstaat.

Es wird das ewige Verdienst der Widerstandsbewegung bleiben, gegen  diese menschenverachtende Ideologie und Praxis gekämpft zu haben. Unter großen Opfern haben die Widerstandskämpfer, die Völker Europas und die Armeen der Anti-Hitler-Koalition das zutiefst unmenschliche System des Faschismus besiegt. Und zu ihnen gehören  die Frauen und Männer des Karfreitag 1945. Wir sind ihnen dankbar dafür und sollten ihr Wirken und ihren Tod als Vermächtnis an uns Lebende betrachten.

In Erinnerung an ihr Leid und an ihren Tod gedenken wir darüber hinaus der vielen Millionen Menschen, die  durch faschistische Gewaltherrschaft an der Front, in Konzentrationslagern, in Bombennächten, gestorben an Hunger, an Kälte und Gewalt ihr Leben verloren haben. All diese Toten mahnen uns, Kriege als Mittel der Politik zu ächten.

Siebzig Jahre nach dem Sieg über den Faschismus können wir uns allerdings auch nicht zurücklehnen und es uns bequem machen. Wir müssen uns zur Wehr setzen und gegen den stärker werdenden Neofaschismus Stellung beziehen. Denn Faschismus ist keine Gesinnung – Faschismus ist die zur Ideologie heruntergebrochene Form  des Verbrechens. Und wer immer so tut, als ob man das verniedlichen könnte, dem sage ich: Sei wachsam, denn wir dürfen nicht die heimtückische Ausbreitung des Faschismus in unserem Alltag dulden.

Leider sind rechte Gesinnungen  noch lange nicht Geschichte. Die Wahlerfolge und Umfragewerte rechtsradikaler Parteien und die Demonstrationen von Pegida, AfD   und anderen zeigen, dass Feindseligkeit, Hass und Ausgrenzung immer noch tief in der Mitte unserer Gesellschaft verankert sind. Dem müssen wir energisch entgegentreten, denn  wir stehen für eine demokratische und tolerante Welt, in der Rassismus, Ausländerhetze und Vorurteile keinen Platz haben.

Unsere Antwort darauf  ist relativ klar: Wir erwarten ein Verbot aller neofaschistischen Vereinigungen, das Verbot der NPD und ein staatliches Vorgehen gegen den rechten Terror, und nicht sein Decken durch Verfassungsschutzbehörden! Und ich wiederhole gern, was ich im vergangenen Jahr an dieser Stelle gesagt habe: Dass  es an der Zeit ist, dass endlich auch einmal die Justiz beginnt, ihr Verhältnis zu Freiheit und Demokratie auch geistig zu ordnen. Es ist ein Unding, unter dem Recht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu sagen, jede rechte Truppe könnte sich zusammenrotten und menschenverachtendes Zeug von sich geben.

Und es ist ein Unding, dass man schlicht und ergreifend so tut, als ob jede Meinung gleichwertig wäre! In einer Demokratie, die ja auch die Lehren aus dem Faschismus ziehen wollte, muss man auch sagen: Es gibt Anfänge der Verbreitung faschistischer Gedankenwelten, die man schlicht und einfach unter Strafe stellen muss! Auf gar keinen Fall darf man immer wieder die Polizei dazu bringen, dass sie so etwas auch noch beschützen muss! Das Internationale Rombergpark-Komitee, für das ich hier spreche, und seine ausländischen Mitglieder und Gäste sind sehr beunruhigt angesichts der ständigen Provokationen der NPD und anderer rechtsextremer Verbände in Deutschland und der zugenommenen rechtsextremen Straftaten.

Sie, liebe Freunde, helfen uns bei der Bekämpfung der neonazistischen Bestrebungen, wofür wir ihnen sehr dankbar sind. Unter ihnen waren einst auch überlebende Verfolgte des Naziregimes. Viele sind leider nicht mehr unter uns oder können infolge ihres Alters nicht mehr an unseren jährlichen Zusammenkünften zu Karfreitag teilnehmen. Sie haben uns immer wieder  berichtet, was sie in der Steinwache, als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene erlebt haben. Das wollen wir nicht vergessen und müssen es an die nächste Generation weitergeben.

Wer heute 90 Jahre und älter geworden ist,  war am Ende des Zweiten Weltkrieges schon mehr als zwanzig Jahre alt. Das aus der Erfahrung erwachsene Erinnern droht mit den Menschen zu sterben. Wir werden in absehbarer Zeit die Berichte der Zeitzeugen als tragende Säulen unserer Erinnerungskultur verlieren. Doch die Erinnerung darf nicht enden, sie muss die heutige und künftige Generation zur Wachsamkeit mahnen. Das Erinnern darf nicht allein den Geschichtsbüchern überlassen werden. Es muss konkret sein, es muss einen Ort haben, und es muss Menschen geben, die das Gedenken bewahren und sich anrühren lassen von der Trauer über die furchtbarsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Das muss die Lehre sein, die wir aus dieser historischen Erfahrung ziehen.

Mut machen mir die jungen Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung, die seit vielen Jahren die Gedenkfeiern an diesem Ort mitgestalten. Respekt für eure Aktivitäten und herzlichen Dank im Namen des Internationalen Rombergpark-Komitees für euren vorbildlichen Einsatz.

Und ein Letztes: Wir müssen in diesen Tagen Solidarität zeigen mit den Flüchtlingen, die  zu uns kommen. Das, was sie in ihrem Heimatland an Grausamkeiten erlebt und auf sich genommen haben, um in Freiheit in einem demokratischen Staat ohne Angst leben zu können, mögen wir uns in Deutschland kaum vorstellen. Diese Menschen sollen das Gefühl bekommen, dass sie bei uns willkommen sind.

Wir haben kein Recht, diese Menschen dem Leid und Tod zu überlassen, sie einfach abzuweisen an den Grenzen unseres Landes und dorthin zurückzuschicken, wo Menschenrechte und Menschenwürde derzeit missachtet werden. Viele vom Faschismus verfolgte Deutsche waren von 1933 bis 1945 ebenfalls auf der Flucht und suchten Schutz in einem anderen Land, wo man ihnen Asyl gewährte und ihnen Achtung und Schutz entgegenbrachte. Das dürfen wir nicht vergessen.

Nach einer im Februar dieses Jahres erfolgten Umfrage finden 29 Prozent der Befragten es gerechtfertigt, dass auf Flüchtlinge an den Grenzen geschossen wird. Wenn wir in Deutschland schon wieder so weit sind, kann einem allerdings angst und bange werden. Da ist Aufklärung dringend geboten und die, die diese Äußerungen noch bekräftigen, sollten nicht ungenannt bleiben. Ester Bejarano, eine 90jährige Antifaschistin und Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, sagte unlängst: „Es ist Zeit für einen Aufschrei von uns allen, einen unüberhörbaren, lauten Aufschrei, der bis in den letzten Winkel unseres Landes und der ganzen Welt widerhallt“.

Lassen Sie uns gemeinsam für eine friedliche Zukunft arbeiten und den Widerstandskampf unserer großen Vorbilder fortsetzen. Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Das Vermächtnis der Ermordeten ernst zu nehmen und ihr Andenken zu bewahren heißt jeglichen Kriegshetzern und Neofaschisten entschlossen entgegenzutreten und unsere Kultur des friedlichen Handelns und der Freundschaft unter den Völkern dagegenzusetzen. Unsere Losung heißt „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“

Ich verneige mich vor den Opfern und bedanke mich, meine Damen und Herren, dass sie mir zugehört haben.

 

Die Rede von Norbert Schilff, Stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins, am Gedenkstein in Lippstadt Karsamstag 2016

In der Karwoche 1945 wurden in den südlichen Waldungen der Stadt Dortmund und an anderen Stellen ca. 300 von Menschen von der Gestapo ermordet, um Mitwisser, Zeitzeugen und Menschen, die nach dem Sieg der Alliierten Deutschland wieder hätten aufbauen können, zu vernichten. Nach der Vernichtung durch Arbeit, nach der planmäßigen Ausrottung durch Rassenwahn nun der letzte Akt, die Vernichtung der Zeugen von Verbrechen.

Bei der Bergung der Leichen im Rombergpark und in der Bittermark bot sich ein grausamer Anblick: mit Stacheldraht gefesselt, von hinten erschossen, bis  zur Unkenntlichkeit entstellt… Mehr als 300 Ermordete. Franzosen, Belgier Sowjetbürger, Niederländer Polen, Jugoslawen und Deutsche. Unter ihnen Arbeiter und Zwangsarbeiter des Werkes Westfälische Union hier in Lippstadt.

Franz Engelhardt, Fritz Sprink, Stefan Freitag,  Albert Klar,  Johann Liebner, Franz Schultenjohann, Leon Chadirac, Robert Dayredk, Paul Deleforge-Burette, Leon Deloor, Edouard Abejan Uguen,, Robert Geoffroy  und Robert Vanderyssen. Wir gedenken in dieser Stunde der Opfer, der Ermordeten. Wir erinnern an das Leid unschuldiger Männer, Frauen und Kinder aus anderen Völkern und aus unserem eigenen Land, wir trauern um sie.

Die  hier Ermordeten waren Teil einer planmäßigen Vernichtungsaktion im Rheinland und in Westfalen. So wurden unter anderem in den letzten Kriegswochen in Aachen, Köln, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Warstein , Wuppertal und Meschede Menschen hingerichtet.

Die Mordfeldzüge der Nazis in den letzten Kriegstagen, kurz vor der Befreiung im Frühjahr 1945 richteten sich gegen tausende Nazigegner – gegen Deutsche und Ausländer und gegen Wehrmachtssoldaten, die sich am Wahnsinn des von Hitler versprochenen und von vielen Deutschen immer noch erhofften „Endsiegs“ nicht mehr beteiligen oder ihm ein Ende bereiten wollten. Es gab jedoch auch ein weiteres Ziel: Man wollte einen demokratischen Neubeginn nach dem „verlorenen Krieg“ im Keime ersticken. SS, Gestapo, aber auch einfache NSDAP-Mitglieder, Volkssturmmänner und Hitlerjungen beteiligten sich an diesen Massakern im Ruhrkessel, an Erschießungen in vielen Städten und Dörfern, am Mord an Gefangenen aus KZ und Zuchthäusern auf Todesmärschen, an Standgerichten gegen Deserteure.

Über Leon Chadirac, den wir hier auf dem Gedenkstein ehren, heißt es in der Anklageschrift des „Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof“, er sei im Mai 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und nach „verschiedenartiger anderer Verwendung“ im Mai 1942 der Firma Westfälische Union AG in Lippstadt zugeteilt worden. In Frankreich habe er während der Volksfrontregierung Leon Blums sozialistische und kommunistische Versammlungen besucht. In Lippstadt hätten er und andere Angeklagte sich auf der Grundlage „feindlicher Hetzsendungen“ politisch abgestimmt, der „Grundton der Gespräche war kommunistisch“ und: „Der Angeschuldigte Chadirac beschäftigte sich im Gespräch mit den Verhältnissen der deutschen und französischen Arbeiter und wünschte für sie den Kommunismus herbei. Er trat für ein Pan-Europa mit Einschluss Sowjetrusslands ein.“

Die direkten Täter der Rombergparkmorde kamen meistens fast ungeschoren davon, wegen Mordes wurde niemand verurteilt. Noch besser erging es ihren Vorgesetzten. Recherchen des Kriminalhistorikers und ehemaligen Kriminalkommissars Alexander Primavesi ergaben: „Allein sieben hohe Funktionäre aus dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin wurden nach 1945 bei der Dortmunder Polizei angestellt, darunter der Chefermittler im Führerhauptquartier gegen die Männer des 20. Juli 1944, Dr. Bernhard Wehner.“

Der stellvertretende Leiter der Dortmunder Kriminalpolizei in den 50er Jahren, Dr. Rudolf Braschwitz, sei im Reichssicherheitshauptamt für das Referat „Bekämpfung des Kommunismus“ tätig gewesen. „Leiter der Kriminalpolizei wurde der einstige Dortmunder Polizeioberst Stöwe, dem versuchter Mord an 30.000 Menschen vorgeworfen worden ist.“ Im Zuge der Kriegsendphasenverbrechen wollten Gauleiter Albert Hoffmann und Polizeioberst Stöwe 1945 tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Bergwerken ertränken, was aber durch die Bergwerksdirektoren verhindert werden konnte. Wir wollen erinnern, weil wir nicht vergessen dürfen, denn die Auseinandersetzung und der sensible Umgang mit der Vergangenheit sind für unsere Gesellschaft von zentraler Bedeutung.

In diesen Monaten bin ich sehr nachdenklich. Und ich möchte Sie an dieser Nachdenklichkeit teilhaben lassen. Ich weiß nicht wie ich reagiert hätte, wenn ich 1938 Feuerwehrmann gewesen wäre und es gegen meinen Ehrenkodex verstoßen hätte, eine brennende Synagoge nicht zu löschen. Ich weiß nicht wie ich reagiert hätte, wenn ich Finanzbeamter gewesen wäre und unrechtmäßig jüdisches Vermögen hätte einziehen müssen. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn ich als Arzt gegen meinen Eid verstoßen hätte ich einen Zwangsarbeiter hätte elendig verrecken lassen. Ich weiß nicht, ob ich einen der hier auf der Tafel Verewigten versteckt hätte, wenn er aus dem Lager geflohen wäre.

Man muss Fremde nicht lieben, wie meine Mutter mir als Kind einreden wollte. Ich liebe niemanden, den ich nicht kenne. Ich bringe aber Menschen Respekt entgegen, die durch Krieg, Vertreibung und Armut ihre Heimat verlassen haben. Ich stelle mich Menschen entgegen, die gegen Flüchtlinge hetzen, Gewalt anwenden und Unterkünfte anzünden. Ich zeige offen mein Unverständnis, wenn Tausende Pegida nachlaufen oder die AfD im zweistelligen Bereich aus Wahlen hervorgeht. Ich sehe eine Entwicklung, vor der wir schon vor Jahren gewarnt haben. Ich bin der festen Überzeugung, das hätten die hier Ermordeten, hätten sie den Kriegswahnsinn überlebt, auch getan. Lassen Sie es  uns  gemeinsam tun! Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

 

Die Rede von Katrin Rieckermann auf der Gedenkkundgebung im Südpark in Lünen, Karfreitag 2016

Liebe Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Katrin Rieckermann. Ich bin Mitglied im Förderverein Steinwache in Dortmund, und ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen und zu euch sprechen darf.

An diesem Ort gedenken wir der Ereignisse vor 71 Jahren – dessen, was kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs hier geschah. Im Rombergpark und in der Bittermark in Dortmund fanden vom 8. März bis zum  12. April  Massenerschießungen statt. Dabei kamen fast 300 Menschen verschiedener Nationalitäten zu Tode.

Zu ihnen gehörten auch sechs Lünener Kommunisten: Johann Berg, Jakob Bink, August Dombrowski, Bernhard Höltmann und Johann König wurden am 30. März, dem Karfreitag 1945, verhaftet und kurz darauf von der Gestapo erschossen. Josef Kriska wurde am 1. April im Gestapo-Gefängnis in Dortmund-Hörde erschossen, nachdem er zuvor aufs Schwerste misshandelt worden war.

Was die Menschen einte, die in den letzten Kriegstagen in unserer Region ermordet wurden, war ihre Gegnerschaft gegen den Faschismus und ihre Gegnerschaft gegen den Krieg. Schon vor der Machtübertragung an die Nazis im Jahr 1933 lautete ihre Losung: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg.“ Faschismus und Krieg, das sind die zwei Seiten der gleichen Medaille.

Was bedeutet das nun für uns, die wir im Jahr 2016 hier stehen? Krieg, Rüstungsexporte und die Ausbeutungspolitik der reichen Länder gehören zu den wichtigsten Fluchtursachen. Dort, wo Länder brutal zerstört, ausgeplündert und zugrunde gerichtet werden, bleibt den Menschen keine andere Möglichkeit als die Flucht. Wir erleben, dass hunderttausende Menschen in Europa Schutz suchen. Trotz der fortschreitenden Aushöhlung des Asylrechts gelangen viele von ihnen auch nach Deutschland, zu uns. Zunächst wurden viele Geflüchtete willkommen geheißen. Mittlerweile hat sich jedoch die Stimmung gewandelt: Flüchtlingsunterkünfte werden angezündet, die Menschen werden entrechtet und abgeschoben, und die rechte AfD gewinnt an Wählerstimmen.

Angesichts dieser Ereignisse witterten auch in Lünen die braunen Brandstifter Morgenluft. Im Herbst 2015 versuchte die „Crème“ der Dortmunder Neonazis zusammen mit ihren Lünener Gesinnungsgenossen, als „Pegida“ getarnt durch die Innenstadt zu laufen. Es gab eine große Gegenkundgebung der demokratischen Bevölkerung, und mangels Masse wurde der zweifelhafte „Spaziergang“ dann abgeblasen.

Einen weiteren Versuch, mit ihren menschenverachtenden Parolen in Lünen Gehör zu finden, unternahmen Mitglieder der Partei „die Rechte“ Anfang des Jahres mit einer so genannten „Mahnwache“ an der Persiluhr, mitten in der Stadt. Auch hier gab es eine große Gegenveranstaltung. Nichtsdestotrotz konnten die Nazis fast ungestört zwei Stunden lang gegen Flüchtlinge und Migranten hetzen.

Es ist ja auch so einfach: Da kommen Menschen in unser Land, und wir müssen vermeintlich das Wenige, das wir haben, teilen. Jedes Kind weiß, dass man mehr vom Pudding hat, wenn man ihn alleine aufessen kann. Diese Kindergartenargumentation machen sich die Nazis und ihre braunen Kumpels von der AfD zunutze.

In unserem Land erleben wir, dass Löhne, Renten und die Arbeitslosenunterstützung gekürzt werden. An der Bildung für unsere Kinder wird gespart, ebenso an der Gesundheit. Dass es den Alteingesessenen oft am Nötigsten fehlt und sich die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, ist kein Geheimnis.

Aber was ist die Lösung? Nach unten zu treten? Vor die Unglücksunterkünfte zu ziehen, die Asylbewerberheime genannt werden? Fremde undifferenziert als Vergewaltiger und Terroristen wahrzunehmen? Migrantinnen und Migranten als Konkurrenten zu betrachten und auszugrenzen?

Oder vielleicht dort zu protestieren, wo das Geld, welches uns allen fehlt, mit vollen Händen ausgegeben wird? Wer genauer hinschaut, kann sehen, dass in Deutschland Milliarden und Abermilliarden – unvorstellbare Summen, die woanders dringend benötigt werden – in die Rüstung investiert werden.

So darf unsere Verteidigungsministerin in den kommenden Jahren 130 Milliarden Euro extra ausgeben. (Ich möchte die Zahl noch einmal wiederholen: 130 Milliarden Euro!) Darüber hinaus soll die Bundeswehr vergrößert und die Zahl der Soldatinnen und Soldaten um 7000 aufgestockt werden. Hier lässt sich nun sagen, dass ebenfalls jedes Kind weiß, dass zusätzliche Waffen und Soldaten nicht zu einem Mehr an Frieden führen.

So schließt sich dann der Kreis zu den Zielen der Ermordeten der Kar- und Ostertage 1945. Sie kämpften gegen Faschismus und Krieg. Kämpfen wir für eine solidarische und demokratische Gesellschaft und für die Beseitigung der Fluchtursachen – also für Frieden! Treten wir ein gegen alte und neue Nazis UND gegen Krieg!

Karfreitagskundgebung 2016 in der Bittermark

Gedenkfeier für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, Mahn- und Gedenkstätte in der Dortmunder Bittermark

Karfreitag, 25. März 2016, 15 Uhr

Es sprechen:
Ullrich Sierau
Oberbürgermeister der Stadt Dortmund

Ernst Söder
Förderverein Gedenkstätte Steinwache- Internationales Rombergpark-Komitee

Botschafter der Erinnerung

Mitwirkende:
Posaunenchöre aus Dortmund
Kinderchor der Chorakademie Dortmund e.V.

(Anreise ab Hauptbahnhof mit U49 bis Hacheney, dann Bus 447 bis Haltestelle Olpkebach)

Veranstaltungen zum Karfreitag 2016

Karfreitag 25. März 2016, 10.30 Uhr

Gedenken auf dem Internationalen Friedhof in Dortmund-Brackel
Kranzniederlegungen an den Ehrenmalen für die sowjetischen, jugoslawischen und polnischen Opfer des Faschismus sowie an den jüdischen Grabstätten
Moderation und Führung Norbert Schilff,
Beiträge der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken, Ortsverband Dortmund-Brackel   

Gedenkfeier in Lünen
11 Uhr Lünen Südpark, an der Derner Straße
Kranzniederlegung am Denkmal für die Opfer der Gestapomorde
Es spricht Katrin Rieckermann, Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee e.V.

Gedenkfeier in Lippstadt
Das Rombergpark-Komitee unterstützt seit Jahrzehnten die Gedenkfeier in Lippstadt. Sechs Arbeiter und sieben französische Zwangarbeiter des  Unionwerkes  in Lippstadt  wurden 1945 von der Gestapo verhaftet und in der Dortmunder Bittermark bzw. im Rombergpark ermordet.

Die diesjährige Veranstaltung am Gedenkstein an der St.-Joseph-Kirche findet statt am Samstag, dem 26. März 2016, um 11 Uhr.
Es sprechen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bürgermeister der Stadt Lippstadt. Für das Internationale Rombergpark-Komitee hält Norbert Schilff in diesem Jahr die Ansprache.

Anreise mit Pkws. Die Gedenkstätte ist erreichbar – von Erwitte kommend – über die Erwitter Straße, Richtung Innenstadt, Bökenförder Strasse, Joseph-Kirche (rechte Seite).